Geert Lovink (by way of Pit Schultz <pit@is.in-berlin.de>) on Sat, 6 Jan 96 08:23 MET |
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Die Informationsbombe [TRANSLATORS NEEDED->geert@xs4all.nl] *please forward* |
Die Informationsbombe Paul Virilio und Friedrich Kittler im Gespraech Ausgestrahlt im Deutsch-Franzoesischen Kulturkanal ARTE November 1995 In den fuenfziger Jahren hat Albert Einstein gesagt, dass wir es mit drei Bomben zu tun haetten. Die erste, die Atombombe, sei bereits gezuendet. Die zweite sei die Informatikbombe; die dritte, die Bevoelkerungsbombe, werde im 21. Jahrhundert explodieren. Gegenwaertig explodiert die Informatikbombe. Neue Technologien, insbesondere die Moeglichenkeiten zur Schaffung virtueller Welten, veraendern Kultur, Politik und Gesellschaft grundlegend. Zu diesem Thema diskutieren heute abend im Gespraech der Stadtplaner und Philosoph Paul Virilio und Friedrich Kittler, Medienspezialist an der Humboldt Universitaet in Berlin. PV: Wir erleben heute nicht nur einen riesigen Werberummel um Datenautobahnen, Internet und das, was man Cyberspace nennt, sondern durch das Teleshopping und Teleworking nicht im Buero sein, sondern Zuhause am Computer, eine Art von Virtualisierung der Alltagswelt. Im Fernsehen gibt es virtuelle Geschaefte, auf dem Computerbildschirm virtuelle Informationsshops. Nun, ich spreche von Geschaeften, aber man koennte sich ebenso die Frage stellen, entsteht nicht bereits eine Art von virtueller Stadt, eine Stadt der Staedte? Ein wirkliches Zentrum der Welt, das Hyperzentrum der Welt, nicht mehr die Hauptstadt eines Landes, sondern die Kapitale aller Kapitalen der Welt, New York, Singapur, London, die grossen Boersenplaetze, die grossen Staedte, alle zusammen. Verbirgt sich nicht hinter dieser zunehmenden Virtualisierung ein Verlust der zwischenmenschen Beziehungen, ein Verlust der unmittelbaren Information? Das heisst, des Gedankenaustausches, so wie wir ihn gerade hier vollziehen? Ich glaube, darueber sollten wir nachdenken, nicht nur die Urbanisten, die Wohnungs- und Staedtebauer, sondern auch die, die am Ort des Geschehens verantwortlich sind. Ich nenne ein Beispiel: was ist denn ein Supermarkt, ein Einkaufszentrum heute? Nichts anderes als ein Stadtzentrum ohne Stadt, ein Anfangsstadium der Virtualisierung, noch nicht Teleshopping, aber bereits auf der gruenen Wiese oder am Stadtrand ein Stadtzentrum ohne Stadt. Das ist Virtualisierung im Fruehstadium, das zweite Stadium ist dann tatsaechlich Teleshopping zuhause. Gehen Sie nicht mehr aus dem Haus, arbeiten Sie daheim, kaufen Sie daheim, vergnuegen Sie sich daheim usw. usf. Was halten Sie von dieser Entwicklung? Mich selbst beunruhigt sie, mich als Urbanisten. FK: Es sieht alles aus wie der Erfolg einer wunderbaren und sehr versteckten Strategie, die nun endlich aufgeht, nachdem sie 15 Jahre lang vorbereitet worden ist. 1982 sind die ersten personal computers, wie sie so schoen heissen, verteilt worden. Einsame, lonely cowboys die einfach auf dem Schreibtisch standen und nichts anderes konnten als Texte schreiben, ich untertreibe jetzt. Und irgendwann sind die Dingen in den letzten 15 Jahren immer besser geworden und jetzt koennen sie alle anderen Medien fressen, das Telephon, den Telegraph und das Faxgeraet und bald auch das Bild und den Ton und die CD. Und man kann sie alle mit wunderschoenen Netzen verdrahten, weltweit. Aus dieser ganz kleinen Investition, die auf jeden dritten Schreibtisch in den zivilisierten Laendern steht, entwickelt sich holterdiepolter ein weltweites Netz, das wirklich wie eine grosse Spinne ist und die anderen Medien das Fuerchten lehrt. Die einzige Ausnahme, die ich machen wuerde: noch sind was die Virtualisierung angeht die beiden Bildschirme, in meiner Wohung zumindest, getrennt. Im Wohnzimmer steht der Fernsehapparat und im Arbeitszimmer steht der zweite Monitor der am Computer haengt. Und ich glaube, erst an dem Tag, an dem der Fernseher endlich weg ist, was ich auch sehr hoffe, und alles ueber den Computer laeuft, kann man von dieser wirklichen Virtualisierung reden. Im Moment sind wir noch im Zwischenstadium, auf der einen Seite gibt es das Programmedium Fernsehen, das uns besendet, und auf der andere Seite gibt es das Programmiermedium, das alle moeglichen Ghettoisierungen moeglich macht, und die beiden sind noch in einer sehr gespannten Beziehung zueinander. Was die Menschen zwischen Wohn- und Arbeitszimmer und den beiden Bildschirmen angeht, weiss ich nicht. Ich kann nur sagen, der Computer ist nicht erfunden worden um den Menschen zu helfen. PV: Da heisst es, es wird virtuelle Gesellschaften geben, ja sogar eine virtuelle Demokratie. Was ist denn das? Woher stammt diese Idee? Woher kommt der Erfolg einer solchen Idee, die Gemeinschaft ihre Realitaet zu berauben, zugunsten einer allumfassenden Virtualisierung, einschliesslich der Politik. Wenn man uns erzaehlt, 'die Demokratie wird virtuell', dann heisst das doch, Wahlen werden durch Meinungsumfragen ersetzt. Wenn man uns sagt, 'die Gesellschaft wird virtuell', dann heisst das doch, keiner muss sich mehr um seinen Naechsten kuemmern, weil dessen Anwesenheit in gewisser Weise ja ueberfluessig wird. Ich frage mich nun, was ist eine virtuelle Gesellschaft? Sie entsteht, aber was ist das Ihrer Meinung nach? FK: Entweder sie ist ein dummes Schlagwort, was ueberhaupt nichts besagt, oder sie ist insofern virtuell, als sie als Gesellschaftsmitglieder oder Staatsmitglieder eben nicht bloss mehr Menschen, natuerlichen Personen und Rechtspersonen fuehrt, wie Institutionen, sondern grosse Netzserver und Programmstrukturen, also eine Welt, in der die Menschen nicht mehr allein kulturelle Wesen sind. Und daran wird man sich die naechsten drei Jahrhunderte gewoehnen muessen, dass es Roboter gibt, dass es Programme gibt, die teilweise besser sind. Wir alle wissen, dass die Tage des Schachweltmeisters gezaehlt sind, dass irgendwann ein Schachprogramm der Schachweltmeister sein wird. Dieses Programm muss man als Teil der virtuellen Welt anerkennen und die virtuelle Gesellschaft ohne diese virtuelle Welt gibt es nicht. PV: Stehen wir nicht schon am Beginn einer dritten Revolution, nach der des Verkehrs und der der Datenuebertragung, die wir gerade erleben, naemlich der der Transplantation. Ich meine damit die des transplantierten Menschens, der voll ausgestattet ist, nicht nur mit einem Mobiltelephon und einen notebook computer, sondern zusaetzlich mit Teletechnologien, wie einem Herzschrittmacher oder zusetzlicher Gehirnspeicherleistung, Leistungsstimulatoren voellig anderer Art. Ist so etwas vorstellbar und in welchem Umfang? Ich glaube, diese Frage wird nicht gestellt. FK: Die Frage wird schon gestellt, aber aus einer etwas anderen Ecke, glaube ich. Die computer community, wie das so schoen heisst auf Englisch, als solche hat kein grosses Interesse, sich direkt an die Herzen oder die Gehirne oder die Ohren oder die Augen von Menschen anzuschliessen, weil das eine anorganische Technologie ist, wohingegen die Gentechnologie, die nach dem Modell der Computertechnologie sich jetzt formt und ausbildet, ein sehr grosses Interesse daran haben duerfte, Schnittstellen zwischen den anorganischen Maschinen von heute und dem alten organischen Fleisch des gefallenen und zuendigen Menschen zu bilden. Welche der beiden Tendenzen sich durchsetzt ist eine ganz offene Frage. Ich wuerde so wetten, dass die Computertechnologie in ihrem militaerischen Ursprung und strategischen Abzweckungen, die sie noch heute hat, eigentlich die Bevoelkerung in Ruhe lassen wuerde, wenn sie sich allein als Siliciumtechnologie weiterentwickelt. Und dass die Neurotechnologien und Gentechnologien ein Interesse daran haben, die Bevoelkerungen zu fressen. Es gibt fuer mich zwei moeglichen Zukunftsszenarien, eines das die Menschen ausspuckt, das waere die Computertechnologie, und das andere, das die Menschen frisst, das waere die Gentechnologie. Und ersteres ist mir lieber, weil es dann einfach Goetter gibt auf der einen Seite, oder Daemonen, und auf der anderen Seite Menschen, die es immer schon gab. Und dass es Goetter und Menschen gibt, das ist nun heutzutage vergessen worden. PV: Ich glaube das wir eine Grenze erreicht haben und die Weltzeit in der Tat das Ende der Zeit ist, um nicht zu sagen das Ende aller Zeiten, das Wort 'Apokalypse' will ich nicht benutzen. Wir haben in jeder Hinsicht die Grenzgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen erreicht. Damit haben wir nicht nur die befreiende Geschwindigkeit erreicht, die uns erlaubt, einen Satelliten oder Menschen in eine Umlaufbahn zu schiessen, sondern auch die Mauer der Beschleunigung. Das heisst die Weltgeschichte, die sich ja staendig beschleunigt hat, von der Aera der Kavallerie ueber die Aera der Eisenbahn, des Telephons, die Aera Marconis, bis zur Aera des Radios und des Fernsehens, stoesst jetzt an die Mauer, an die Grenze der Beschleunigung. Die von Ihnen gestellte Frage ist in der Tat, was geschieht in einer Gesellschaft die an die Grenze der Beschleunigung stoessst, waehrend doch alle Gesellschaften der Vergangenheit im Bezug auf den Fortschritt, von der Art und Weise ihrer Beschleunigung bestimmt waren? Beschleunigung nicht nur bezogen auf Speicher- und Rechnerleistungen, sondern auf das Handeln. Wir wissen doch, dass man heute eigentlich nicht mehr nur von 'Tele-vision' sprechen kann, sondern von 'Tele-aktion' sprechen muss. Interaktiv bedeutet hier sein, aber gleichzeitig anderswo handeln. Ich meinerseits habe Zweifel, ob diese Frage heute so gestellt wird. Sind wir uns dessen bewusst, dass damit ein globaler, historischer Unfall ausgeloescht worden ist. Jedesmal wenn eine neue Geschwindigkeit entdeckt wurde, entstand auch ein neuer spezifischer, lokaler Unfalltypus. Ich sage immer, man hat die Eisenbahn erfunden und damit auch das Entgleisen. Schiffe, die Titanic, sinken an einen bestimmten Ort, an einen bestimmten Tag. Wir aber schafften mit dieser Einheitszeit, dieser Echtzeit, Weltzeit, den Unfall der Unfaelle, um mit Epikur zu sprechen. Das heisst, die historische Zeit selbst erleidet den Unfall durch das Erreichen dieser Grenze der Lichtgeschwindigkeit, koennte man sagen. Mein Eindruck ist, dass das, was man uns als Fortschritt der Kommunikation praesentiert, in Wirklichkeit nicht nur ein Rueckschritt, sondern ein unglaublicher Archaismus ist. Die Welt auf eine einzige Zeit zu reduzieren, auf einen Zustand, in dem sie keine Beschleunigungssysteme mehr entwickeln kann, ist ein Unfall ohnegleichen, ein historischer Unfall wie es ihn nie gegeben hat. Wie es Einstein hoechst treffend nannte, 'eine zweite Bombe'. Die erste Bombe war die Atombombe, die zweite ist die Informationsbombe, naehmlich die Bombe welche uns die absolute Zeit, die Grenzzeit, um nicht zu sagen die Nullzeit, d.h. die Echtzeit bringt. Ich glaube, das was Sie ueber die Rechenleistung sagen gilt auch fuer die Faehigkeit, die Welt zu sehen, die Faehigkeit sie zu gestalten, sie zu lenken, aber auch sie zu bewohnen. FK: Wahrscheinlich gehen dann auch die beiden von Einstein bezeichneten Gefahren historisch und systematisch zusammen. Es ist eine der grassierenden Ideologien von heute, zu behaupten, die Kommunikation wuerde durch die neuesten Hochtechnologien befoerdert. Wir wollten immer schon miteinander reden und nun kommt es besonders schnell, effizient und global ueber die Netze. In Wahrheit sind die Atombombe und die Computer beide Produkte des zweiten Weltkrieges. Kein Mensch hat sie bestellt, sondern die militaerische und strategische Situation des zweiten Weltkrieges hat sie notwendig gemacht. Also, es waren von vornherein keine Kommunikationsmittel, sondern es waren Mitteln des totalen Krieges und des strategisch geplanten Krieges. Was jetzt als spin-off in die Bevoelkerung hineingestreut wird, wobei ich nicht sagen wuerde, es wurde weltweit gestreut, sondern die Dominanzen des Netzes sind natuerlich klar Amerika, Kalifornien und Europa und Japan. Was ich nicht glaube, ist dass es schon die letzte Grenze erreicht hat, die Beschleunigung. Dass die Katastrophe sozusagen in der Unueberbietbarkeit der aktuell herrschenden Uebertragungs- und Berechnungsgeschwindigkeiten steckt, sondern es ist immer noch strategischer und oekonomischer Gewinn daraus zu ziehen, dass man ein System hat, das schneller ist als das andere System. Es ist immer noch moeglich zu unterscheiden zwischen geheimen Maschinen und oeffentlich verkauften Maschinen, die sich durch ihre Geschwindigkeit unterscheiden, durch ihre Leistungsfaehigkeit. Und es ist immer noch nicht ausgemacht, wie die Sachen weitergehen, weil die Lichtgeschwindigkeit zwar eine absolute Grenze, im Vakuum wohlgemerkt, ist, aber in den real existierenden Technologien laeuft die Elektrizitaet substantiell langsamer als im Vakuum und es werden furchtbaren Kaempfe noch laufen in Richting Beschleunigung, optischer Schaltkreis anstelle von Silicium, das werden Faktoren von einigen Millionen Beschleunigung sein, sodass ich also Schwierigkeiten habe, die Apokalypse bereits eingetreten zu sehen. Nur die Zeit der Menschen ist, glaube ich, ein fuer allemal unterlaufen. Die Frage, die fuer mich brennend ist, ist wie Kultur und Politik darauf reagieren, auf die langsame Depositierung ihrer eigene Maechte. Sie haben sich so auf die Alltagssprache und deren Langsamkeit, so auf die Nerven und deren Langsamkeit verlassen, und sind jetzt selber nicht mehr fuehrbar ohne Maschinerien, die Entscheidungen vorbereiten und am Ende sogar noch treffen. Also wie man als Philosoph und als Politiker reagiert. PV: Sie haben voellig zurecht vorhin den zweiten Weltkrieg erwaehnt, aus dem diese Technologien hervorgegangen sind. In der Tat muss man sagen, dass mit der Innovation Atombombe etwas ganz anderes erfunden wurde, das im uebrigen heute eine Krise erlebt, ich meine die nukleare Abschreckung. Muss man nun nicht in Zusammenhang mit dieser zweiten Bombe, der Informationsbombe, Wege der Interaktivitaet, und ich gebe zu bedenken, dass die Interaktivitaet in gewisser Weise eine Form von Radioaktivitaet ist. Das ist nicht nur eine Metapher, sondern ein konkretes Bild. Muss man also nicht bereits fuer das naechste Jahrhundert mit einer anderen Form der Abschreckung rechnen? Ich meine nicht die militaerische Abschreckung, zur Verhinderung des Einsatzes der Atombombe, sondern eine gesellschaftliche Abschreckung zur Verhinderung der Schaeden durch den Fortschritt der Interaktivitaet. Denn eine globale Gesellschaft, die in der Echtzeit lebt, vom unmittelbaren Datenaustausch, ist undenkbar. Oder halten Sie sie fuer denkbar? Wenn ich Freunde hoere, deren Namen ich hier nicht nennen moechte, die von einem riesigen Weltgehirn sprechen, in dem jeder einzelne Mensch nur noch ein Neuron ist, das auf anderen Neuronen reagiert. Der Mensch also nicht mehr ein irdisches, sondern ein neuronales Wesen ist, muss ich genau daran denken. Sind wir nicht schon dabei, was unsere Arbeitswelt angeht, unseren Wohnungsbau, eine gesellschaftliche Abschreckung zu erfinden und vorzubereiten. Das heisst eine Abschreckung, um die negativen Folgen dieser Augenblicklichkeit des Handelns und der Information fuer die Aermsten und Schwaechsten zu verhindern? Ist Ihrer Meinung nach eine Abschreckung der augenblicklichen und globalen Information vorstellbar? Es geht fuer mich dabei um das Risiko einer Tschernobylkatastrophe mit schaedlichen Folgen fuer die Lebensweisen der Menschen, fuer das Sozialverhalten. Gibt es nicht schon heute Hinweise auf eine solche soziale Desintegration, ein Auseinderfallen der Gesellschaft, von Paaren usw. Ist nicht die strukturbedingte Massenarbeitslosigkeit bereits ein Effekt, ein Niederschlag, fall-out dieser Informationsbombe? Und wir stehen erst am Anfang. Was halten Sie von dieser sozialen Dimension der Information, Delokalisation, Automatisierung der Moeglichkeit, augenblicklich von einem Ort auf einen anderen in der Welt einwirken zu koennen? Hat dies nicht eine Dimension, die Sie problematisch finden? Ist nicht bereits die Massenarbeitslosigkeit, die ja nicht mehr konjunkturbedingt sondern strukturell ist, bereits eine Folge dieses Unfalls, von dem ich soeben sprach, dem Unfall der Zeitlichkeit? Stehen wir damit nicht bereits vor einem Problem? FK: Sicher, die Massenarbeitslosigkeit von heute ist bestimmt von der Automatisierung der Produktion bestimmt. Ich habe nur das dumpfe Gefuehl, dass die Soziologien und Politiken selber etwas daran schuld sind, dass da soviel Arbeitslosigkeit auftritt. Die Technologie selber ist die einzige Technologie, die ich kenne, die wirklich radikal umprogrammierbar ist, also wo staendig neue Sachen gemacht werden koennten, im Unterschied zur Fabrikationsstrasse, die damals Henry Ford in Detroit errichtete, wo ein einziges Automodell zehn Jahre lang drueber gelaufen ist. Man koennte also mit dieser Basistechnologie, die wirklich zur Innovation erfunden worden ist, alles andere innovieren. Aber es wird ja auch systematisch im Konzept von Gesellschaft und im Konzept von Bildung daran festgehalten, dass den Leuten der Zugang zu dieser Technologie versperrt wird. Es gibt ein grassierenden Computeranalfabetismus, computer illiteracy, die wird hergestellt, die wird auch durch Propaganda, Werbung und falsche Verkaufsstrategien hergestellt und hindert sehr viele Leute draufzusteigen. Fuer die Hacker von heute habe ich, was Arbeitslosigkeit betrifft, keine Angst. Das ist aber eine ziemliche Teilantwort auf die Frage. Was das Tschernobyl der Information angeht, das hat sich ja vielleicht an diesem Boersenkrach schon einmal provisorisch abgezeichnet, was das heisst, wenn alle Boersengeschaefte ueber weltweite Netze gehandelt werden. Und dagegen werden ja permanent Massnahmen ergriffen, also die gute alte Zeit, in der jeder auf seinem Computer machen durfte, was er wollte, ist laengst vorbei. Wir werden alle kontroliert auf unseren Maschinen und je vernetzter die Maschinen werden, desto strenger werden die Kontrollen und die Schutzmechanismen. Und die Buerokratien, die eingebaut sind. Das Netz wird auch bestenfalls dieses Jahr noch frei sein, im naechsten Jahr gehoert es wahrscheinlich dem grossen Geld, und dann funktionieren die Kontrollen. Das waere die andere Gefahr, dass gerade zur Verhinderung eines informatischen Tschernobyls die Kontrollmechanismen, die informatischen Buerokratien, im Verbund mit sehr viel Kapital derart ausweiten, dass die versprochene Liberalisierung der Information ueberhaupt nicht stattfindet. Also im Gegenzug einer moeglichen Systemzusammenbruchgefahr eine neue Hierarchie aufgebaut wird, die dann strukturell dieselbe Hierarchie ist wie die zwischen Computerliteraten und Computerilleteraten. Auf der einen Seite die, die Kode noch verstehen, so wie die Kryptographen und Kryptologen des zweiten Weltkrieges, und auf der anderen Seite die Massen von Milliarden von Menschen, die ausgeschlossen werden aus Sicherheitsgruenden. PV: Immer wenn Technologien schneller gemacht wurden gab es Akkumulation und Konzentration. Heute erleben wir, ob mit Time-Warner oder Turner, einen Gigantismus der Konglomerate, der Monopole, im uebrigen noch beguenstigt durch den Wegfall der Anti-Monopolgesetze, der diese zentrale Steuerung ueberhaupt moeglich macht. Zur gleichen Zeit da man uns erzaehlt, Internet bringt uns die Freiheit an Ort und Stelle, erleben wir wie sich ganz zufaellig Trusts bilden, die Weltkonzerne, keinen blossen multinationalen Unternehmen mehr sind. Ich frage mich nun, ob durch diese Illusion der Freiheit durch Information nicht eine Einheitlichkeit der Welt larviert wird die zulasten ihrer Vielfalt, ihres gedanklichen Erbes, ihrer Kultur ganz einfach geht. Wir wissen wie das Medium, ganz gleich im welchen Fall, die Verlagerung vom Geschriebenen zum Bildschirm verarmt. Wir wissen um die Verarmung durch den Computer. Ob wir es wollen oder nicht, der Computer synthetisiert Information. Jeder der einen Synthesizer in der Musik verwendet, zum Beispiel fuer Geigenmusik, weiss genau, dass eine echte Geige anders klingt als ein Synthesizer. Und der Computer ist nichts anderes als ein Informationssynthesizer. Der Informationsgehalt wird semantisch reduziert, die Kognitivisten wissen dies im uebrigen genau, und auch dies ist ein Umstand, den man beruecksichtigen muesste. Die Synthetisierung der Information, die Verarmung der Inhalte, wird aber nicht beachtet. Wie immer wird alles Negative verschwiegen, interessanterweise immer larviert. Wie kann man vorgeben, Technologien zu entwickeln, ohne sich auch gleichzeitig Wissen ueber damit verbundenen spezifische Unfallrisiken zu erwerben? Und das gilt fuers Fernsehen, genauso wie fuer Multimedia. FK: Man muss es wahrscheinlich so machen wie Bill Gates und die Sachen so verkaufen als seien sie nicht die Sachen wie sie sind. Man verkauft Computer und sagt, das sind Schreibtische, desktops, oder man sagt, es sind Fernsehgeraete, oder die Fernsehgeraete der Zukunft. Auf diese Weise kann man die Maschinerien, mit ihren systemspezifischen Schwaechen vernebeln und gut verkaufen. Das ist eine sehr amerikanische Werbestrategie, und es laesst daraus schliessen, dass die Trust- und Konzentrationsbewegung die ergriffene und vielleicht auch letzte historische Chance der Amerikaner sind, die Pax Americana auf technologischen Weg zu halten. Nachdem der ganzen technologischen Vorsprung schon nach Japan abgewandert schien, hat Amerika es geschafft in den neunziger Jahren, aufgrund seiner elektronischen und computertechnischen Vorspruenge vor allem die Standards zu definieren, unter denen wir heute auf den Netzen und Maschinen kommunizieren. Und es ist wirklich nicht ausgemacht, dass die Standards, so wie sie sind, die mathematisch oder menschlich besten sind. Das kann man noch unterscheiden, aber es sind beides zwei wichtige Gesichtspunkte, die in diese Standardisierung oder Vereinheitlichung, weltweite Globalisierung nicht eingehen und es ist eigentlich raetselhaft, weshalb kein Mensch und kein Kopf, keine Industrie in Europa irgendeinen Versuch macht, diese Standards, so wie sie sind und wie sie ueber den grossen Teich kommen, als neue Form der Pax Americana, in Frage zu stellen. PV: Die neuesten Technologien lassen den Raum in seiner Ausdehnung und Dauer verschwinden. Sie reduzieren die Welt auf ein Nichts, wie man sagt. Das ist ein tiefgreifender Verlust, auch wenn man es nicht zugibt, und niemals zugeben wird. Es gibt eine Verschmutzung, nicht nur der materiellen Umwelt, der Fauna und Flora, die Umweltschuetzer wissen das, sondern auch der Distanzen und der Zeitraeume, die mich im Hier und Jetzt leben lassen, an einem Ort und in der Beziehung zu anderen Menschen, die durch Begegnungen entsteht, nicht durch eine Tele-Praesenz, eine Tele-Konferenz oder Tele-shopping. Was denken Sie ueber diesen Verlust? Setzen wir uns nicht damit selbst und der Welt ein Ende? Wenn es einige akzeptieren koennen, die Ausdehnung im Raum zu verlieren, wie wir die Zeitdauer, die lange Dauer, verloren haben.