Andreas Broeckmann on Thu, 10 Feb 2000 11:02:42 +0100 (CET) |
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[rohrpost] <nettime> Zizek on Haider [in German] |
Die freie Wahl zwischen blauen und roten T¸tchen Warum wir es lieben, Haider zu hassen / Von Slavoj Zizek Die Regierungsbeteiligung von J–rg Haiders FP÷ hat im gesamten Spektrum des "legitimen demokratischen" politischen Blocks Entsetzen ausgel–st: von sozialdemokratischen Linken bis zu christlich Konservativen, von Chirac bis Clinton - von Israel mal ganz zu schweigen - haben alle ihre "Besorgnis ausgedr¸ckt. Und viele haben angek¸ndigt, als zumindest symbolische Maþnahme ÷sterreich unter diplomatische Quarant”ne zu stellen, bis diese Seuche verschwunden ist oder sich als einigermaþen ungef”hrlich herausgestellt hat. Manch ein Kommentator sieht in diesem Entsetzen den Beweis daf¸r, wie stark der antifaschistisch-demokratische Grundkonsens nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa noch ist. Doch ist das wirklich so eindeutig? Zun”chst einmal muss man sich in Erinnerung rufen, dass die tonangebende demokratische Politik einen gut versteckten, dabei aber eindeutig erleichterten Seufzer ausstieþ, als sich vor einem Jahrzehnt die rechtspopulistischen Parteien in Europa ernsthaft bemerkbar machten. Die Botschaft dieser Erleichterung: Endlich gibt es einen Feind, den wir gemeinsam so richtig hassen k–nnen; den wir opfern, ja exkommunizieren k–nnen, um unseren demokratischen Konsens zu demonstrieren! Diese Erleichterung muss vor dem Hintergrund dessen interpretiert werden, was gew–hnlich der aufkommende "post-politische Konsens" genannt wird. Das Zweiparteiensystem, die vorherrschende politische Ordnung der post-politischen Ÿra, t”uscht eine Wahlm–glichkeit vor, die es im Grunde gar nicht gibt. Beide Seiten n”hern sich in ihrer Wirtschaftspolitik einander an - man denke an Clintons und Blairs Aufwertung "straffer Finanzpolitik zum Leitsatz der modernen Linken: Eine straffe Finanzpolitik f–rdere das Wirtschaftswachstum, und dieses Wachstum erlaube es, eine aktivere Sozialpolitik zu betreiben im Kampf f¸r eine verbesserte soziale Absicherung, bessere Ausbildung, ein besseres Gesundheitswesen . . . So reduziert sich der Unterschied zwischen beiden Parteien letztlich auf ihre Haltung bei Kulturfragen: multikulturelle, sexuelle und sonstige "Offenheit steht gegen traditionelle "Familienwerte". Bezeichnenderweise ist es die rechte Option, die anspricht und zu mobilisieren versucht, was auch immer ¸brig geblieben ist vom Mainstream der Arbeiterklasse in den westlichen Gesellschaften - w”hrend die multikulturelle Toleranz zum Motto der frisch privilegierten "symbolischen Klassen" wird (Journalisten, Akademiker, Manager . . .). Politische Wahlm–glichkeiten solcher Art - etwa zwischen Sozialdemokraten und Christdemokraten in Deutschland, zwischen Demokraten und Republikanern in den USA - m¸ssen uns ja geradezu an jenes Dilemma erinnern, vor dem wir stehen, wenn wir im CafÈ nach S¸þstoff fragen: Ðberall k–nnen wir zwischen Natreen und Saccharin w”hlen, zwischen blauen und roten T¸tchen, und fast jeder hat die eine oder andere Vorliebe; und ¸berall betont dieses l”cherliche Festhalten an der eigenen Vorliebe nur die v–llige Bedeutungslosigkeit der Alternative. Und gilt nicht dasselbe bei Talkshows, in denen die "Freiheit der Wahl" nur eine Wahl bedeutet zwischen Beckmann und Biolek? Oder bei Softdrinks: Coke oder lieber Pepsi? Es ist allgemein bekannt, dass der Knopf "T¸re schlieþen in den meisten Aufz¸gen ein funktionsloses Placebo ist; dass er uns nur das Gef¸hl geben soll, wir k–nnten irgendwie zur "Beschleunigung" der Fahrt beitragen. Doch dr¸cken wir diesen Knopf, schlieþt sich die T¸r ebenso schnell, als wenn wir nur den Etagenknopf dr¸cken w¸rden. Dieser Extremfall einer vorget”uschten Mitbestimmung ist die passende Metapher f¸r die Mitbestimmung des Einzelnen in unserem "postmodernen" politischen Prozess. Was uns wieder zu Haider bringt: Die einzige politische Kraft von Gewicht, mit welcher "Wir" antagonistisch auf "Die" erwidern, sind die neue populistischen Rechten - Haider in ÷sterreich, Le Pen in Frankreich, die Republikaner in Deutschland, Buchanan in den USA. Doch genau darum spielen diese Figuren eine Schl¸sselrolle: Sie sind die Ausgeschlossenen, die gerade durch diesen Ausschluss (n”mlich ihre Nichtakzeptierbarkeit als Regierungspartei) die liberale Hegemonie negativ legitimieren, indem sie als Beweis f¸r deren "demokratische" Haltung dienen. Und so verdr”ngt ihre Existenz den wahren Kern der politischen Auseinandersetzung, der nat¸rlich das Ersticken jeder radikal linken Alternative ist; und ersetzt diesen durch die "Solidarit”t" des gesamten "demokratischen" Blockes gegen die Gefahr durch rassistische Neonazis und andere. Darin letztlich beweist sich heute die liberaldemokratische Vorherrschaft, welche durch den sozialdemokratischen "Dritten Weg" vollendet wurde. Genau genommen ist der "Dritte Weg" eine Sozialdemokratie unter der Hegemonie des liberaldemokratischen Kapitalismus - ihr fehlt der subversive Stachel und selbst die letzte Referenz auf Antikapitalismus und Klassenkampf. Entscheidend ist: Die neuen Rechtspopulisten stellen heute die einzige "ernste" politische Kraft dar, welche die Menschen mit antikapitalistischer Rhetorik ansprechen, wenn diese auch nationalistisch, rassistisch oder religi–s verbr”mt wird. Auf einem Kongress des Front National stellte Le Pen vor ein paar Jahren einen Algerier, einen Afrikaner und einen Juden auf das Podium, umarmte sie und sagte zum Publikum: "Sie sind nicht weniger Franzosen als ich - die Repr”sentanten des multinationalen Groþkapitals sind es, die ihre Pflicht gegen¸ber Frankreich vergessen, die die wahre Gefahr f¸r unsere Identit”t sind!" So heuchlerisch solche Erkl”rungen auch sind, zeigen sie dennoch, wie sich die populistische Rechte auf genau dem Terrain ausbreitet, das von der "Linken" aufgegeben wurde. Hier spielt die liberaldemokratische Neue Mitte ein doppeltes Spiel: Sie setzt uns rechtslastige Populisten als gemeinsamen wahren Feind vor, w”hrend sie in Wirklichkeit die Panik gegen¸ber der Rechten sch¸rt, um das "demokratische" Feld zu beherrschen; um ihr Terrain abzustecken und um ihre radikalen Gegner auf der linken Seite f¸r sich zu gewinnen und zu disziplinieren. Aber durch Ereignisse wie die Regierungsbeteiligung der Haider-Partei (die, das sollten wir nicht vergessen, vor ein paar Jahren einen Vorl”ufer hatte: in Italien bildete Berlusconi seine Regierung mit Finis neofaschistischer Alleanza Nazionale) - durch solche Ereignisse erh”lt die neue Mitte ihre eigene Botschaft in umgekehrter - und wahrer - Gestalt zur¸ck. Die Regierungsbeteiligung der extremen Rechten ist der Preis, den die politische Linke zahlt, weil sie ihrem groþen politischen Projekt abgeschworen hat - weil sie den entfesselten Kapitalismus des Marktes als "the only game in town" akzeptiert hat. # distributed via <nettime>: no commercial use without permission # <nettime> is a moderated mailing list for net criticism, # collaborative text filtering and cultural politics of the nets # more info: majordomo@bbs.thing.net and "info nettime-l" in the msg body # archive: http://www.nettime.org contact: nettime@bbs.thing.net -------------------------------------------------- # rohrpost -- http://www.mikro.org/rohrpost # unabhaengige deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # Entsubstkribieren: majordomo@mikrolisten.de # msg: unsubscribe rohrpost ihre@adres.se # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de