Krystian Woznicki on 24 Jun 2000 10:59:01 -0000


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[rohrpost] Zivilisationsboten im Kosovo


LAND CRUISER
4-wheel-drive und Coca-Cola Polizei im Kosovo

Von Tom Holert

Pristina im Frühjahr 2000: Stau im Zentrum der Hauptstadt des Kosovo. Auf 
der Mutter-Theresa-Avenue, dem wichtigen Korso im Innenstadtbereich, 
drängen sich die Autos auf schlaglochgesäter Piste. Viele Wagen von 
deutschen, französischen oder italienischen Herstellern mit Kennzeichen, 
die auf den Kanton Chur oder auf den Regierungsbezirk Stuttgart verweisen, 
die meisten ohne Nummernschilder, vor allem ohne jugoslawische (das wäre 
lebensgefährlich), die allermeisten, ca. 80 Prozent, wie man hört, 
gestohlen. Die Autos befinden sich in einem Zustand weit jenseits jeder 
TÜV-Akzeptabilität, das deutsche Ordnungshirn denkt: den 
Straßenverhältnissen im Kosovo (ein Resultat des NATO-Bombardements, aber 
auch jahrelanger, systematischer Unterentwicklung des Straßennetzes durch 
die jugoslawischen Behörden) ist der Großteil dieser Fahrzeuge auf keinen 
Fall gewachsen. Trotzdem fahren diese Autos, man sieht sie überall im Land 
durch die unfassbarsten Pfützen schießen; und die Kosovaren erweisen sich 
dabei - gegen die hartnäckig kursierenden Ansichten zu ihrem angeblich so 
tollkühnen Fahrstil - als äußerst behutsam im Umgang mit ihren fragilen 
Gefährten.

Doch es ist eine ganz andere Gruppe von Fahrzeugen, die letztlich das 
Straßenbild in Pristina prägt: Die großen vierradgetriebenen 
Geländefahrzeuge der UN (und ihrer diversen Unterorganisationen), der OECD, 
des Internationalen Roten Kreuzes und einer unüberschaubaren Zahl von 
Hilfsorganisationen sind maßgeblich verantwortlich für den tagtäglichen 
Verkehrsinfarkt in der Stadt, in der sich nicht nur das Hauptquartier der 
KFOR und der UNMIK (United Nations Mission in Kosovo), sondern auch die 
Büros fast sämtlicher größerer Organisationen der “internationalen 
Gemeinschaft" befinden. Beim täglichen Spaziergang entlang der Staus auf 
den größeren Straßen fällt auf, welche physische Wucht von den Geländewagen 
ausgeht, die zudem durch den Umstand, dass sie größten Teils fabrikneu 
sind, einen merkwürdigen Kontrast zu der sie umgebenden, buchstäblichen 
Auto-Trashkultur bilden. Davon abgesehen erscheint es absurd, ausgerechnet 
diese Wagen mit ihren in jeder Hinsicht hilfsbereiten Insassen auf ihren 
Wegen zu einer karitativen Aktion oder einer humanitären Beobachtung, 
bewegungslos in einem Stau stecken zu sehen, den sie selbst immer wieder 
mit verursachen. Logik der Friedenspolitik?

An jeder zweiten Straßenecke stößt man in Pristina zudem auf 
stacheldrahtbewehrte Parkplätze, auf denen sich beeindruckende Fuhrparks 
mit nagelneuen Toyota Land Cruisers (UN, UNMIK, UNHCR usw. - angeblich der 
japanische Beitrag zur Kosovo-Mission) oder Mitsubishi Pajeros (OECD, EU 
usw.) präsentieren. Ein auffälliges Merkmal dieser car cultureder 
internationalen Gemeinschaft ist die durchgehend weiße Lackierung: sie 
verweist farbsymbolisch auf Neutralität, Unschuld und Frieden, aber 
außerdem heben sich von ihr die Aufkleber der jeweiligen Organisation 
wirkungsvoll ab. Nur die UNMIK-Polizei fährt Land Cruiser im poppigen 
Weiß-Rot-Look; die Bevölkerung nennt sie folgerichtig “Coca-Cola-Dosen", 
und die Cops aus Zimbabwe, Ägypten oder Dänemark, die in Kosovo Dienst 
schieben, heißen “Coca-Cola-Polizei".

In einer Krisenregion wie dem Kosovo kann von “Straßenqualität", wie man 
sie in Westeuropa selbstverständlich erwartet, keine Rede sein. Es ist 
deshalb für die Hilfsorganisationen äußerst sinnvoll, Autos zu fahren, die 
auch in schwierigem Gelände vorankommen. Besonders außerhalb der Städte, in 
den Gebirgsdörfern, machen sich Vierradantrieb und grobstollige Reifen 
nützlich. Aber wie vernünftig und effizienzsteigernd die Ausrüstung mit 
Legionen neuester Geländewagenmodelle für die UN oder die NGOs auch sein 
mag -- ihre massive Präsenz, vor allem in Pristina, macht sie auch lesbar 
als Zeichen einer machtvollen symbolischen Politik der Kolonisierung durch 
Befriedung und Wiederaufbau. Mit ihren rollenden Statussymbolen (wer würde 
nicht gerne mal einen dynamischen 4-Wheel-Drive als Dienstauto bewegen?) 
begegnen die Vertreter/innen jener globalen Elite der Elendsbürokratie dem 
Chaos im Kosovo häufig genug mit illusionslosen Blicken durch edel getönte 
Scheiben.

Die Ohnmacht der professionellen Helfer angesichts einer über alle Maßen 
komplizierten (Nach-)Kriegssituation findet ihre verzerrte Entsprechung in 
der Benutzung jener Autos, die im zivilen Fall für das “individuelle 
Off-Road-Vergnügen" stehen. Oder, wie die Werbung für den Toyota Land 
Cruiser sagt: “Wer viel leistet, hat ein Recht auf seine persönlichen 
Freiräume". Betrachtet man sich in den Frühstücksräumen der Hotels in 
Pristina oder Skopje die Mitarbeiter/innen der UN-Organisationen oder der 
größeren NGOs, mit ihren Cargo-Hosen, CAT-Boots und praktischen 
Vielzweck-Westen, scheint sich - vielleicht als Kompensation für erlebtes 
Elend und nagendes Heimweh - die konsumistische Mythologie des 
Off-Road-Abenteuers mit der Praxis des Helfens und Wiederaufbauens zu 
verweben.

Der Universalismus des Mitleids trifft auf das 4-Wheel-Feeling grenzenloser 
Mobilität: “Seit 1951", heißt es auf der amerikanischen Toyota-Website, 
“bewegt sich der Land Cruiser in so abgelegenen Gebieten, dass seine 
Verlässlichkeit nicht nur eine Frage der Bequemlichkeit, sondern auch des 
Überlebens ist. So abgelegene Orte, dass die örtlichen Sprachen nur von 
einer Handvoll Stammesmitgliedern gesprochen wird." Auch die internationale 
Friedensgemeinschaft ist eine Offroad-Gemeinschaft. Sie ignoriert Grenzen 
aus Prinzip, manchmal auch dort, wo diese noch auf nationalstaatliche 
Souveränität verweisen. Dementsprechend entschlossen sucht sie Orte auf, an 
denen selbst die Sprachkenntnisse der UN/NGO-Eliten versagen.

Im Kosovo ist die Zahl der nicht-lokalen Angestellten von 
Hilfsorganisationen, die Albanisch sprechen, verschwindend 
gering  notgedrungen muss man sich an die “Stammesmitglieder" halten. Mit 
denen nimmt man nicht selten vom hoch gelegenen Fahrersitz eines 
Geländewagens Kontakt auf , wohl spürend, dass man in der Krisenregion 
“viel leistet" und sich “persönliche Freiräume" verdient hat. Viele 
UN-Mitarbeiter/innen waren vor der Kosovo-Mission bereits in Bosnien und 
Ruanda an der helfenden Front tätig. Neben der moralischen Gratifikation, 
an einer Friedensmission beteiligt zu sein, werden gerade den 
Hochqualifizierten unter den Krisenarbeiter/innen die kleinen Freuden einer 
Karriere im internationalen Helfer-Business geboten. Zur angestrebten 
professionellen Ausstattung gehören dabei nicht nur oft ansehnliche 
Gehälter und schnell hochgezogene Appartementkomplexe vor Ort, sondern eben 
auch die standesgemäßen Touren im neuesten 4-Wheel-Modell.

Man darf sich nun fragen, wie sich die ständige Nähe zu den 
allgegenwärtigen militärischen KFOR-Vehikeln mit Tarnfarben-Lackierung auf 
die Selbstwahrnehmung des Fahrers von weißlackierten Pajeros oder Land 
Cruisers im Kosovo auswirkt; und wie sich andererseits die 
martialisch-machistische Ideologie der internationalen Offroad-Gemeinde in 
der libidinalen Ökonomie der Friedensbringer bemerkbar macht.

Das britische Magazin “Off Road & 4Wheel Drive" bringt das Begehren seiner 
Leserschaft auf den folgenden evolutionsbiologischen Punkt: “Fahren im 
Gelände ist ein wahrlich berauschendes Erlebnis. Es verbindet zwei der 
großen Lieben des Mannes  die röhrend-schnaubende, Adrenalin-pumpende 
Beziehung zum Auto und den Testosteron-fördernden tierischen Instinkt, eins 
mit der Natur zu sein, abseits der kleinmütigen Hemmungen der modernen 
urbanen Zivilisation." Seltsam, dass die gleichen Geländewagen, die ein 
solches Marketing-Ideal maskuliner Zivilisationsflucht bedienen, nun so 
plakativ im Dienst “zivilisierender" Interventionen des internationalen 
Hilfspersonals stehen.

Quelle : www.frieze.com




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