florian schneider on 1 Oct 2000 20:12:03 -0000 |
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[rohrpost] empire |
hi, hier ein paar links zu michael hardt und toni negris buch "empire" sowie ein text, den ich fuer die aktuelle spex geschrieben habe. http://muse.jhu.edu/journals/theory_&_event/v004/4.3hardt.html Sovereignty, Multitudes, Absolute Democracy: A Discussion between Michael Hardt and Thomas Dumm about Hardt and Negri's Empire (Harvard University Press, 2000) http://www.hup.harvard.edu/catalog/HAREMI.html Harvard University Press Online Katalog http://www.bn.com nach <Hardt Negri Empire> suchen, dann kommt u.a. die besprechung von zizek aus der sz und ein interview von hardt mit negri /fls ---- Ein enges Treppenhaus führt hoch in den ersten Stock. Durch die geräumige Wohnung im römischen Innenstadtviertel Trastevere weht laue Zugluft. Die Wände sind bis auf den letzten Zentimeter vollgestellt mit Büchern, an einem großen Arbeitstisch sitzen noch Gäste aus Paris, die ihre wissenschaftliche Arbeit für eine Stunde unterbrochen haben und sich ein paar Anmerkungen zurufen, die nachher ja nicht vergessen werden dürfen. Antonio Negri, ist ein sympathischer, älterer Herr, der um Vieles jünger wirkt, als es die biografischen Daten, die miesen Bilder der Klappentexte und die politischen Umstände erwarten lassen. Mit der einnehmenden Geste des gastfreundlichen Hausherren weist er auf die tiefergelegte 70er Jahre Sitzgruppe und öffnet eine Flasche Weißwein, die auf dem Couchtisch natürlich keinen Platz mehr hat und später den Flaschenboden in abtauendem Kondenswasser auf einem Buchdeckel abbilden wird. »Ich glaube wirklich, dass es keinen substantiellen Unterschied gibt zwischen dem Gefängnis und dem restlichen Leben. Ich glaube, dass das Leben ein Gefängnis sein kann, wenn man nichts daraus macht oder wenn die Lebenszeit nicht als frei begriffen wird. Man kann sowohl im Gefängnis als auch außerhalb des Gefängnisses frei sein.« Negri ist Freigänger. Tagsüber arbeitet er in seiner Wohnung, nachts und am Wochenende muss er zurück in das Hochsicherheitsgefängnis Rebibbia, wo er seit 1997, nach der freiwilligen Rückkehr aus dem französischen Exil, eine Reststrafe absitzt. In Italien zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er als Professor der Politikwissenschaft an der Universität Padua angeblich den bewaffneten Kampf der 70er Jahre angestiftet haben soll, konnte Negri sich 1983 der Haft durch die Wahl ins Europaparlament entziehen. Weit über linksradikale Zirkel hinaus hatte Negri sich mit seinen Seminaren bei Althusser an der Ecole Normale, die später als »Marx oltre Marx« herausgegeben wurden, »Wilde Anomalie«, seinem großen Werk über Spinoza und seiner Zusammenarbeit mit Felix Guattari (»Communists like us«) Geltung verschafft. Er war der bekannteste der von der Mitterand-Regierung geduldeten, politischen Flüchtlinge aus Italien, und scharte in Paris einen Kreis von theoretischen Sympathisanten im sogenannten »Negri-Seminar« um sich, zu dem Ende der 80er Jahre auch der junge US-Amerikaner Michael Hardt stieß. Im vergangenen Frühjahr nun ist bei Harvard University Press »Empire« erschienen - das lang erwartete Werk, das Negri zusammen mit Michael Hardt in den Jahren von 1992 bis 1997 oder besser gesagt: zwischen Golf- und Kosovokrieg verfaßt hat. Schon vor seiner Veröffentlichung wurde »Empire« als das »Kommunistische Manifest« unserer Tage gehandelt. Soviel Vorschusslorbeeren können eine Debatte aber auch im Keim ersticken. Und tatsächlich hat es einige Zeit gedauert, bis sich eine relevante Zahl von LeserInnen durch die gut 400 Seiten gekämpft haben, die allen Unkenrufen zum Trotz in einer faszinierenden Klarheit geschrieben sind. Inzwischen hat das Publikum in den gegenüberliegenden Fankurven Platz genommen: »Empire« ist schließlich nicht nur ein großartiges Hoffnungszeichen voll revolutionären Optimismus - und das in Zeiten, in denen die Linke allenfalls durch Jammerei und Altklugheit, Wehmut und bitteren Zynismus auf sich aufmerksam machen konnte. Das Buch muss gleichzeitig auch als scharfer Angriff begriffen werden im Lager der Globalophoben und von den Anhängern eines linken Konservativismus, die Befreiung nach wie vor nur in nationalstaatlichen Kategorien denken wollen, beziehungsweise in moralisierender oder idealisierender Form über die Transzendenz des Bestehenden sinnieren. »Empire ist eine aufregende Reise durch die Geschichte der Kultur und der Intelligenz, begleitet von den Gründungsvätern der Kirche und klassischen Historikern des römischen Imperiums, Spinoza und Machiavelli, Guy Debord und Malcom X, Hip-Hop-Gangs und Zapatisten, Rawls und Kelsen, Hobbes und Hegel« schreibt Anton Monti in seiner Rezension für das Webzine Sherwood Tribune in Padua. Das Buch werde sicherlich seine akademische Bedeutung haben, es sei aber auch ein »offenes Buch« über das Handeln in einer alltäglichen Praxis. Michael Hardt pflichtet bei: »Ich hoffe, dass Aktivisten in unserem Buch Analysen und vor allem auch nützliche Konzepte finden werden, um sich in den aktuellen politischen Auseinandersetzungen zu orientieren.« In der Tat: »Empire« ist ein READ_ME der Globalisierung oder theoretischer Werkzeugkasten für die sozialen Auseinandersetzungen im Zeitalter von Internet und Biotech. Mit »Empire« schlagen Hardt und Negri einen Begriff vor, der den Übergang vom Regime rivalisierender Nationalsstaaten und imperialistischer Konkurrenz zum globalen Herrschaftsanspruch des Kapitalismus markiert. »Die neue Form globaler Souveränität, die sich zusammensetzt aus einer Reihe von nationalen und supra-nationalen Organismen, vereint zu einer einzigen Legitimität, das ist was wir Empire nennen«, schreiben Hardt und Negri. Diese imperiale Macht zeichnet sich aber nicht nur dadurch aus, vor keinen zeitlichen oder räumlichen, geografischen oder biologischen Grenzen Halt zu machen; es handelt sich um ein System, zu dem es keine Alternative gibt. Der kritische Standpunkt, der sich sowohl Innen wie Außen befindet und es sich lange Zeit in genau dieser Schwellenlage eingerichtet hat, sei unwiederbringlich dahin. Das neue Empire kann nur von innen heraus erklärt und attackiert werden. Nichts wäre nun verhängnisvoller, als das Konzept Empire zu verwechseln mit der altbekannten linksradikalen Dämonisierung eines allmächtigen US-Imperialismus. Hardt und Negri forcieren im Gegenteil einen erfrischenden Anti-Antiamerikanismus und heben die enorme Bedeutung der vom machiavellistischen Geist geprägten US-Verfassung für den Übergang vom Imperialismus der europäischen Nationalstaaten zur weltumspannenden Souveränität des Empire hervor. Im amerikanischen Traum sind die Grenzen immer offen (»The frontier is a frontier of liberty«), während das Projekt des Imperialismus seine Macht linear in geschlossenen Räumen ausbreitete, und eindrang, zerstörte und unterwarf, was sich innerhalb seiner Einflusssphäre befand. Bei allen Greueln und allem Blutvergießen, welche der Expansionismus und die Intensivierung der weltweiten Kommunikation mit sich führte, werden Hardt und Negri nicht müde, auf das »utopische Element der Globalisierung« zu verweisen. Um nicht in »Reaktion auf die totalisierende Gewalt von Imperialismus und rassistischer Herrschaft einfach in Partikularismus und Isolationismus zurückzufallen« geht es für die beiden Autoren heute darum, »das Projekt der Gegen-Globalisierung, des Gegen-Empires zu formen.« Dazu schlagen Hardt und Negri vor, auf den revolutionären Humanismus der Renaissance zurückzugreifen. Der Schlüsselbegriff lautet »Multitude«. Spinoza entwarf mit »Multitudo« einst ein radikal-demokratisches, pluralistisches Konzept von der Gleichheit aller noch so Verschiedenen. In der modernen Staatstheorie war mit Multitudo verächtlich der Mob gemeint, den es zu beherrschen gilt. Der moderne Kapitalismus differenzierte später die ungeschlachte Masse zu sozialen Klassen, und schrieb diesen eine Reihe von Kriterien ein, die die Verteilung des Wohlstands entlang jeweils sehr spezifischer Arbeitsteilung betrafen. Im postmodernen Kapitalismus taucht mit dem Verschwinden der Klassenzuschreibungen das Problem der Multitude wieder von neuem auf: Die ungeheure Vielfältigkeit und Verschiedenartigkeit aller produktiven Praktiken sowie deren kollaborativer und interaktiver Charakter lassen sich nicht mehr im Korsett des Nationalstaates, unter der Kommandoherrschaft der Lohnarbeit bändigen. Kooperative Arbeit entkommt den Fabrikmauern und wird »immateriell«; ihr Tausch- und Gebrauchswert verflüchtigt sich in kommunikativen Netzwerken, wo es keine Stechuhren oder sonstige Bemessungsgrundlagen mehr gibt. Arbeitskraft ist in einem nie dagewesenen Maße mobil und trotzt den Versuchen der Territorialmächte, die vergeblich Definitionsmacht über die Zusammensetzung der Bevölkerung zu behaupten suchen. Wie fruchtbar diese Konzepte von der »Deterritorialisierung der Produktion« und im Gegenzug der »Zentralisierung von Kontrolle und Befehlsgewalt« sein können, wird im Moment an keinem Beispiel deutlicher als an der sogenannten »Green-Card-Debatte«: Die von einem Widerspruch zur nächsten Selbstverleugnung taumelnden Regierungen der Nationalstaaten versuchen zwar weis zu machen, mit ein paar zeitlich begrenzten ausländerrechtlichen Ausnahme-Verordnungen weiter Herr der Lage bleiben zu können, in Wirklichkeit aber ist der Paradigmenwechsel unübersehbar: Über Einwanderung und Aufnahmekriterien entscheiden nicht mehr nationale Belange oder entsprechend motivierte und legitimierte Gremien, sondern Konzerne und Interessensnetze des Kapitals im Rahmen einer neuen Souveränität. Die »New Economy« mobilisiert desweiteren die Ware Arbeitskraft in einem ungeahnten Maße und über alle Grenzen hinweg. Dies bleibt mitnichten auf vermeintliche »Experten« beschränkt, sondern umfasst alle Bereiche der Produktion und Reproduktion (Putzen, Pizzabringen, Pflegetätigkeiten). Eine Kritik, die sich an der rhetorischen Kosmetik der Regierungspropaganda und deren moralischen Ungereimtheiten festbeißt, muß zwangsläufig nicht nur die objektiven Veränderungen, sondern vor allem die Subjektivität der EinwandererInnen ignorieren, die sich den Grenz- und Migrationsregimen widersetzen. Zu nostalgischen Erinnerungen an die goldenen Zeiten des National- und Wohlfahrtsstaates treffen sich dann sowohl Gewerkschaften als auch Asylgruppen, wenn sie an althergebrachten Klientelfiktionen festhalten und das »deterritorialisierende Verlangen der Multitude« unterschätzen. »Widerstand kommt vor der Macht. Widerstand ist immer das aktive Moment, kreativ und innovativ. Die Macht reagiert nur«, sagt Michael Hardt. Der Klassenkampf als Motor der Geschichte - beinahe sah es hierzulande schon so aus, als würde sozialen Auseinandersetzungen das selbe Schicksal wie Punkrock ereilen: Für nutzlos erachtet und in seiner vulgären Variante den Neonazis überlassen. Das Update mit Renaissance-Theorie und viel französischem Poststrukturalismus steht dem Klassenkampf jedoch erstaunlich gut. Umso mehr, als linke Strategien, die sich in Political Correctness erschöpfen, längst unverzichtbarer Bestandteil der neuen Unternehmenskultur in den Führungsetagen der Großkonzerne sind. Postmoderne Theorie hat die Welt nur dekonstruiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern - so ließe sich das Credo von Michael Hardt und Toni Negri vielleicht am treffendsten umschreiben. Hart gehen die beiden Autoren mit der Scheinradikalität der Postcolonial und Cultural studies ins Gericht. Diese hätten zwar dazu beigetragen, dass es mittlerweile auch »für schwule 18- bis 22-jährige Latino-Amerikaner« eine spezielle Marketingstrategie gebe. Die Theoretisierung aller möglicher Verschiedenheiten und deren Realisierung im Rahmen des Weltmarktes führten aber keineswegs »zu Gleichheit und zum freien Spiel der Kräfte, sondern zu neuen Hierarchien oder eher einem Prozess andauernder Hierarchisierung«. Postmoderne Tugenden wie Differenz, Hybridität und Freizügigkeit blieben Privilegien von Eliten, solange eine wirklich revolutionäre Praxis sich nicht auf die Ebene der Produktion beziehe. In noch dünnem Glanz lassen Hardt und Negri das Projekt einer Befreiung aufschimmern, das sie selbst als die »Quadratur der Menschheit« umschreiben oder: »An einem Nicht-Ort einen neuen Ort zu konstruieren; neue Bestimmungen des Menschlichen zu konstruieren und des Lebens - eine machtvolle Artifizialität des Lebens.« Zur entscheidenden Frage wird die »biopolitische Selbstbestimmung der Multitude«. Biomacht ist nach Foucault das Stadium, in welchem die Produktion und Reproduktion von Leben an sich zum Gegenstand der Macht geworden ist. Zusammen mit vernetzten Kontrolltechniken, welche die »Disziplinargesellschaft« und ihre Logik des Ein- und Ausschlusses beerbt haben, besitzt die neue imperiale Souveränität eine gravierend erweiterte Machtfülle, die sich über das soziale Leben als Ganzes und bis seine tiefsten Winkel hinein erstreckt. Kein Grund jedoch, den Kopf in den Sand zu stecken: »In dem Maße, wie heutzutage Menschlichkeit und unsere Lebensweise produktiv für das Kapital geworden sind, eröffnen sich gleichzeitig Möglichkeiten für eine neue, autonome Macht allgemeiner Menschlichkeit oder besser: einer allgemeinen, kollektiven Lebensweise«, sagt Michael Hardt. Wann und wie das Mögliche Wirklichkeit wird, kann aber nicht durch Theorie, sondern nur durch praktisches Experimentieren ermittelt werden. Sollte es gar Vergnügen machen, Kommunist zu sein? Es hat den Anschein an diesem heißen Sommertag, der im kühlen Bücherwald von Negris Wohnung weit mehr als gerade mal erträglich wird. Der kleine, spindeldürre Professor hat sichtlich Freude daran, über neue Organisationsformen, Fragen des Aktivismus und ein zeitgemäßes Modell von Militanz zu diskutieren. »Militanz ist heute eine positive, konstruktive und innovative Aktivität«, heißt es in den letzten Sätzen von »Empire«. Verglichen mit dem elenden Anblick der Macht ein unwiderstehlicher Vorschlag. ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost