Inke Arns on 11 Jan 2001 19:41:05 -0000 |
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[rohrpost] www.antworten.de: der server, der einen nie bedient |
[www.antworten.de ist schon etwas aelter, aber man kommt gerne darauf zurueck. dieser text entstand fuer die zeitschrift des graduiertenkollegs der uni konstanz zum thema *nicht(s)tun* und wurde gerade im netz publiziert. zu dem schoenen thema erscheinen in den naechsten tagen auch noch mehr artikel von anderen menschen ... gruss, -i] Inke Arns, Berlin Über das vergebliche Warten auf Antworten, oder: der Server, der einen nie bedient ZU EINEM NETZKUNSTPROJEKT VON HOLGER FRIESE UND MAX KOSSATZ publiziert in: diss.sense, Zeitschrift des Graduiertenkollegs der Universität Konstanz, Ausgabe zu Nicht(s)tun, Januar 2001 [Deutsch] <http://www.uni-konstanz.de/FuF/Philo/LitWiss/Gra-Ko/dissense/nichtstun/arns .htm> Es begann mit dem Gore-Schock (1): Am 15. September 1993 deklarierte der amerikanische Vize-Praesident Al Gore in der National Information Infrastructure (NII) Agenda for Action das Internet zu einer Grundlagenstruktur für prinzipiell alles. Zeitgleich wuchs der Internet-Service Gopher mit einer 997%igen jaehrlichen Wachstumsrate, und als die rasante Verbreitung des ersten Webbrowsers Mosaic begann, wuchs der Traffic des WWW mit einer 341,634%igen Wachstumsrate (2). Das Internet wird mit seiner graphischen Oberfläche World Wide Web (WWW) ab 1995/1996 zu einem Masseninformationsmittel für ein Massenpublikum, das mehr und mehr die ‘urspruenglichen’ Bewohner ("Netizens"; v.a. akademische User sowie Hacker und andere fruehe Communities, u.a. The Well) des fruehen Internet aus der oeffentlichen Wahrnehmung verdraengte. Hegten die Netizens noch technoutopische Hoffnungen auf eine kollektive Intelligenz (3) des Netzes, so stellte sich mit der massenhaften Nutzung des WWW, und, damit einhergehend, mit der zunehmenden Kommerzialisierung des WWW ab 1996 (Stichwort e-commerce) eine zunehmend passive Haltung der Masse der Internetnutzer ein. Heute werden nicht mehr dem – von der Mehrheit der heutigen User nie benutzten – grafiklosen Internet, sondern vor allem dem WWW Eigenschaften zugeschrieben, die an Wunder grenzen: das WWW garantiert Demokratie, das WWW garantiert Interaktion, das WWW garantiert eine neue Oekonomie, und es gibt Antworten auf prinzipiell alles. Nicht genug des positiven Hype, der hochfliegenden Erwartungen – manche meinten sogar, daß das Internet Revolutionen ermoegliche (4). Enttaeuscht werden diese Erwartungen von einem Netzprojekt, das, ganz im Sinne dieser auf die Technologie fokussierten technoutopischen Hoffnungen, ‘Antworten’ verspricht. www.antworten.de (1997) von Holger Friese und Max Kossatz begruesst einen User z.B. mit der Nachricht "We are now serving 94. Sie haben Nummer: 99, bitte warten!!!". Dazu setzt eine Endlosschleife mit Wartemusik ein, aehnlich eines firmeneigenen Telefonmusikwarteloops. Nach 100 Sekunden erscheint die Frage "Moechten Sie etwas schreiben oder etwas lesen waehrend Sie warten?" Natuerlich möchte man waehrend des Wartens aktiv sein. Klickt man auf ‘lesen’, werden detaillierte Zugriffsstatistiken für www.antworten.de für die letzten zwoelf Monate oder alternativ seit dem 31.5.1997 aufgerufen. Diese in ihrer peniblen Ausfuehrlichkeit sinnlosen Statistiken erscheinen in Form farbiger Balken- und Tortendiagramme; die Tabellen weisen "Hits", "Files", "Sites", "KBytes sent" für die jeweiligen Monate aus. Ueber Links kann man auch die "Full statistics" fuer die Jahre 1999, 1998 und 1997 einsehen. Die Option ‘schreiben’ oeffnet ein Fenster, das zum Verfassen einer e-mail an <fragen@antworten.de>, also den Webmaster des Projekts, einlaedt. Man erhaelt jedoch keine Antwort, kein "Reply". Nach drei Minuten wird die naechsthoehere Wartenummer aufgerufen. Man kann nun die Zeit ueberschlagen, zu der man drankommt, und sich anderen Taetigkeiten zuwenden, z.B. zu anderen Webseiten surfen. Kommt man jedoch nach ca. 20 Minuten zurück, wird man grundsaetzlich immer mit der Antwort "Sie sind leider zu spaet, Ihre alte Nummer war 99, Ihre neue Nummer ist 106" abgespeist. Beim Zugriff auf antworten.de wird mittels eines Perl-CGI-Skripts (5) die aktuelle Nummer ausgelesen und die entsprechende Grafik für die Ziffern angezeigt, die Nummernzuweisung (aktuelle Nummer + 7) erfolgt durch ein Cookie (6), das auf dem Rechner des Users abgelegt wird. Das vielversprechende Angebot entpuppt sich als Maschinenskript – das Hoffen auf Antworten ist vergeblich. Und staendig dudelt die Musik. Aehnlich wie in Franz Kafkas Parabel Vor dem Gesetz ist es auch hier nicht moeglich, Zugang zu den versprochenen Antworten zu bekommen. In Kafkas Parabel versperrt nicht nur der eine Tuerhueter den Eintritt ins Gesetz, sondern er ist "nur der unterste Tuerhueter. Von Saal zu Saal stehen aber Tuerhueter, einer maechtiger als der andere (7)". Eine gewaltige Beamtenhierarchie baut sich vor dem inneren Auge auf, die es potentiell unmoeglich macht, an die versprochenen Antworten zu gelangen. Immer wieder kommt jedoch auch die Frage nach den Fragen auf, auf die hier Antworten gegeben werden sollen. Was fuer Antworten darf man erwarten? Werden sie zu meinen Fragen passen? Wer gibt überhaupt die Antworten? Kennt er oder sie meine Fragen? Was passiert, wenn meine Frage falsch ist (8)? Alles scheint so, als ob man eine Wahl haette, wo es tatsaechlich keine gibt. Hier ergibt sich ein Zusammenhang mit der von Slavoj Zizek konstatierten Veraenderung der paradoxalen Stellung des Herrn in der heutigen westlichen Gesellschaft: "Die Medien bombardieren [das Subjekt] konstant mit Wahlaufforderungen, addressieren es als das Subjekt, das dazu bestimmt ist zu wissen, was es wirklich will (welches Buch, welche Kleidung, welches TV-Programm, welchen Urlaubsort) [...]. Auf tieferer Ebene jedoch entziehen die neuen Medien dem Subjekt das Wissen, was es will: sie sprechen ein durch und durch formbares Subjekt an, dem staendig erzaehlt werden muss, was es will, das heißt genau die Evokation einer Wahl, die performativ getroffen werden muß, erzeugt die Notwendigkeit eines Objektes der Wahl. Man sollte hier daran erinnern, dass es die Hauptfunktion des Herrn ist, dem Subjekt zu sagen, was es will – die Notwendigkeit eines Herrn entsteht als Antwort auf die Konfusion des Subjekts, insofern es nicht weiß, was es will. Was passiert dann aber in der Situation des Niedergangs des Herrn, wenn das Subjekt selbst bestaendig mit der Aufforderung bombardiert wird, ein Zeichen davon zu geben, was es will? Das genaue Gegenteil von dem, was man erwarten wuerde: wenn es niemanden gibt, der dir sagt, was du wirklich willst, [...] dominiert dich der andere komplett, und die Wahlmoeglichkeit verschwindet einfach, das heißt, sie wird durch ihren bloßen Anschein ersetzt (9)". Folgt man Zizek, so hieße dies: Wenn keine erzwungene Wahl das Feld der freien Wahl eindaemmt, verschwindet also genau die Freiheit der Wahl. Fuer www.antworten.de wuerde Slavoj Zizeks Argumentation bedeuten: Die Antworten sind laengst festgelegt, und es kommt auf uns an, die richtigen Fragen zu stellen. Die Medien produzieren den Anschein der Wahlfreiheit, legen aber nicht "die Antworten" fest, sondern willkuerliche konkrete Antworten, die den Anschein von treffenden Antworten haben und uns zugleich das Ende der Herrschaft der Herren/Gottes garantieren sollen. Ein Antworten-Ersatz, bei dessen Auswahl man sich frei genug in der Wahl waehnt. Nur, dass es soweit nie kommt, denn der kritische Moment ist in einem unendlichen Wartemodus suspendiert. Fuer www.antworten.de hiesse es – entgegen dem kulturpessimistischen Unterton bei Zizek – aber auch: Es zeigt die Behauptung, daß es richtige Antworten und passende Fragen gibt, um in der Nicht-Erfuellung die Fraglichkeit des Ganzen erfahrbar werden zu lassen: auf welche Fragen welche Antworten? Diese unendliche und unangenehm riskante Offenheit, der wir unterworfen sind und die doch unsere Freiheit allererst begruendet (besonders seit wir nicht mehr auf Gott oder Herren hoeren wollen, koennen, duerfen), wird durch das Web noch offensichtlicher aufgrund der Unmenge der konkreten Antwortsbehauptungen, die zur Wahl stehen. Am Ende sind es immer die einzelnen, wir, die nach den Grenzen und Bedingungen fragen muessen, nach denen wir zu fragen und auf die wir zu antworten versuchen. Es geht darum, die eigenen richtigen Fragen und Antworten zu erfinden. Das ist gleichzeitig begehrliches Ziel wie absolute Unmoeglichkeit. Ein anderes Projekt von Holger Friese, unendlich, fast... (10) (documenta X, Kassel 1997), stellt sich quer zu allen Konventionen des WWW. Es besteht nur aus einer einzigen tiefblauen Webseite, wobei diese aber nicht auf das Format einer DIN-A-4-Seite begrenzt ist, sondern nach links und rechts, oben und unten aus dem Monitor herauswuchert. Man benutzt nun nicht mehr den Cursor, um auf der Seite herumzufahren, sondern muss den Monitor ueber die fast unendliche Seite bewegen, um nach den angeblich auf der Seite versteckten Links zu suchen. Mit genug Zeit, Muße und ein wenig Glück finden sich dann einige kleine ASCII-Zeichen im unendlichen Blau. Sie stellen jedoch entgegen der Erwartung des Users keine Links, also Verbindungen zu anderen Dokumenten im Netz dar, sondern nur sich selbst. Signifikant bleibt Signifikant. Es bleibt nur die "Back"-Taste. Die Strategie der Enttaeuschung findet sich also auch in dieser Arbeit. Ueberhaupt ist diese Strategie, zusammen mit den Strategien der Unterwanderung, der Irritation, der Umfunktionierung und Entwendung typisch fuer (fruehe Formen der) Netzkunst. Netzkunstarbeiten widmen sich der Aesthetik des Fehlers, der medialen Stoerung, des technischen Versagens und der Disfunktion. Gegen die glatten Oberflaechen, den Hype, wird der rohe Quellcode und die mediale Stoerung gesetzt, gegen die in den glatten Oberflaechen mitschwingenden technoutopischen Hoffnungen faehrt man eine Strategie der Enttaeuschung. Die Ebenen von Raum und Zeit sind für beide Arbeiten konstitutiv: Waehrend unendlich, fast..., so Christoph Blase, "durch den Raum [scrollte] wie auf einer riesigen Platte, die aus den Seiten der Monitorscheibe hinauswuchs", ist dagegen www.antworten.de "ein durch die Musik erzeugter Warteraum, von dem aus man nie in den naechsten Raum gelangt." Waehrend antworten.de Zeit vergeudet, am Monitor und in den Leitungen, braucht unendlich, fast... viel Zeit, "das Suchen dauert, erst recht, wenn man weiß, daß es tatsaechlich irgendwo etwas zu finden gibt (11)". www.antworten.de und unendlich, fast ... untersuchen die strukturelle Gestaltung des allseits geruehmten Informationsmehrwertes in den weiten Raeumen und Zeiten des Internets. "Die Informationen -", so Blase, "egal ob es eine große, eine kleine, oder keine, die doch eine ist - werden nicht nachgeschmissen, sondern als etwas Wertvolles aufbereitet, das nur erhaelt, wer auch das Bewußtsein dafuer besitzt" (12). Und, so muß man hinzufuegen, wer genuegend Zeit hat. In Kafkas Vor dem Gesetz wartet der Mann vom Lande vor dem Tor zum Gesetz bis er alt und schwach ist. Als der Tuerhueter erkennt, daß der Mann bald sterben wird, bruellt er ihm ins Ohr: "Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schliesse ihn" (13). Fussnoten: (1) Natuerlich begann das Internet nicht mit dem Gore-Schock. Der Gore-Schock wird hier polemisch als Anfangspunkt des Internet-Hypes gesetzt. (2) Vgl. Robert Hobbes Zakon' Internet Timeline v5.0, <http://www.isoc.org/guest/zakon/Internet/History/ HIT.html>. (3) Pierre Lévy. Die kollektive Intelligenz. Eine Anthropologie des Cyberspace. Mannheim 1997 [franz. Original Paris 1994]. (4) Nach einem Artikel von Bart Rijs in der Volkskrant (2.12.1996) habe Revolution in Serbien (1996), so Rijs in der gleichnamigen Überschrift, mit einer Homepage im Internet begonnen. Das Internet als Subjekt der Geschichte - die revolutionaere Homepage als das perfekte Beispiel für die befreiende Macht von Computern und Internet. Vgl. Inke Arns, Andreas Broeckmann. Small Media Normality for the East. In: P. Schultz / D. McCarty / V. Cosic / G. Lovink (eds.). ZK Proceedings 4: Beauty and the East. Ljubljana: Digital Media Lab, 1997, S.17-21 <http://www.v2.nl/~arns/Texts/Media/kl-ost-e.html> (5) CGI-Skripte oder -Programme (= Common Gateway Interface Programme) sind oft in der Programmiersprache Perl geschrieben und bewirken, dass Daten, die von einem User via e-mail an den Server gesendet werden, ggf. als Text auf der Website erscheinen. (6) Cookie = dt. Keks; eine Zeichenfolge, die von einem Server auf dem Computer des Users abgelegt wird und dessen Identifikation gewaehrleistet. (7) Franz Kafka. Vor dem Gesetz. In: Franz Kafka. Saemtliche Erzaehlungen. Frankfurt/Main 1970. 131. (8) Nach Slavoj Zizek haengt ein Aspekt der paradoxalen Stellung des Herrn "mit dem Raetsel des Bestehens von Pruefungen und der Bekanntgabe von Resultaten zusammen: es muss zwischen der tatsaechlichen Pruefung [...] und dem Moment der oeffentlichen Bekanntgabe des Resultats eine minimale Luecke, Verschiebung geben – eine Zwischen-Zeit, wenn, obgleich die Wuerfel schon gefallen sind und wir das Resultat wissen, immer noch eine Art ‘irrationale’ Unsicherheit über das ‘was wird der Meister (das Resultat verkuendend) sagen’ bleibt [...]." Slavoj Zizek. Die Pest der Phantasmen. Die Effizienz des Phantasmatischen in den Neuen Medien. Wien 1997. 128. (9) Zizek 1997. 135f. (10) unendlich, fast ... <http://www.thing.at/shows/ende.html>. (11) Christoph Blase. Die Frage nach der Bloedheit gibt Antworten. In: Blitz Review. Nr. 390. 1998. <http://blitzreview.de/b-390.html>. (12) Blase 1998. (13) Kafka 1970. 132. - http://www.v2.nl/~arns/ ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost