Florian Cramer on 12 Feb 2001 19:14:27 -0000 |
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Re: [rohrpost] Gegen Medientheorie (Three Minutes of Theory) |
Am Mon, 12.Feb.2001 um 00:06:18 +0100 schrieb Stefan Heidenreich: > > zu 2.=4. (wir brauchen eine Semiotik des Computers statt Medientheorie) > Das wäre ein theoretischer Rückschritt. > Hat Medientheorie doch gerade hinter der Inhaltlichkeit, an die Semiotik > immer gefesselt war, einen Blick auf Entstehungsbedingungen medialer > Zeichensysteme freigelegt. Wenn ich die Semiotik von Peirce und Eco, aber auch die Semiologie von Saussure, Barthes und der frühen Kristeva als Referenz heranziehe, kann ich den Vorwurf der Fesselung an "Inhaltlichkeit" nicht teilen, eher den mangelnder Historizität. Bei der Medientheorie scheint mir der historische Fokus aber zur Falle zu werden und den Blick zu verstellen, wenn z.B. allein durch das Kriterium der "Neuheit" völlig divergente Zeichentechniken wie Fernsehen, Video und Computer unter einen Hut gebracht und mit ähnlichen Attributen beschrieben werden. > In jeder Semiotik ist dagegen von vorne herein ein Terror der Bedeutung > eingeschrieben, der Prozesse in Datenströmen unterhalb der > Bedeutungseffekte ausblendet. Für Semantik würde ich das sofort unterschreiben, die Semiotik - zumal die strukturalistische, die die relationale Konfiguration, Paradigmen und Syntagmen von Zeichen untersucht - vor dem Vorwurf aber in Schutz nehmen. Im übrigen hat gerade die Geschichte des Strukturalismus gezeigt, daß es nicht möglich ist, etwas zu analysieren, also in anderen Worten bzw. einem anderen Code zu beschreiben als es selbst, ohne dabei automatisch Bedeutung herzustellen. Allein der Begriff des Mediums ist eine solche konstruierte Bedeutung oder "Inhaltlichkeit". > Statt dessen tendiert Semiotik dazu - und das konnte man in den 80er > Jahren schon einmal gut beobachten -, sich mit scholastischer > Begriffsbildung abzuschotten: weil sie nur Ersetzungsoperationen vornimmt > und nichts erklärt, muss sie die Illusion eines Erkenntnisfortschritts als > Binnenkomplexität simulieren. Auch ich sehe die Semiotik nicht als Allzweckwaffe; als kunst- und musikwissenschaftliche Methode z.B. hat sie weitgehend versagt, weil ihr Instrumentarium letztlich doch an den diskreten Codes sprachlicher Zeichen geschult ist und die Relationen dieser Zeichen als Grammatiken liest. Gerade diesen Ansatz aber halte ich für geeignet, die ebenfalls diskreten und ebenfalls regelhaft miteinander verbundenen digitalen Codes des Computers zu lesen, wenn man ihn als Zeichenmaschine (und damit u.a. auch als Medium) analysiert. > > 1. (Computer sind nicht Medien sondern universelle Zeichenmaschinen:) > Gerade wenn Computer in Netzen verschaltet sind, treten sie an die > Stelle eines Mediums (sogar im vereinfachten Sinn von "Mittlern"). Im > übrigen widersprechen sich beide Begriffe keineswegs. Nein, aber ich behaupte, daß "Medium" nur eine Untermenge von "Zeichenmaschine" ist, wenn man den Begriff des Mediums als "Mittler" zwischen Sender und Empfänger ernstnimmt. Wenn man das Medium für mehr als einen Mittler - oder Modulator - hält, sollte man es auch anders nennen. > >zu 3. bis 7. (Argumente zum Computer als Textmaschine) > Der Computer codiert Zeichen nicht textuell: Text ist vielmehr nur eine > von vielen Repräsentationen binärer Differenzen. Das ist eine Frage des Textbegriffs - und stimmt nur unter der Voraussetzung, daß man "Text" (bzw. "Schrift") allein als alphanumerisch codierte Zeichenmenge definiert. Du schreibst hierzu: > Ein Textbegriff, der alle diskreten Informationen umfasst, muss entweder > a) herkömmlichen Text (und damit Literatur) als gleichberechtigte > Datenform neben anderen Oberflächen, etwa Bildern oder Sounds, > beschreiben Bilder und Töne sind aber Zeichensysteme, die sich erst durch Abstraktion (Rasterung/Quantisierung) als diskrete Information speichern und prozessieren lassen. Dieser Umcodierungs-Prozeß ist immer verlustbehaftet bzw. nicht verlustfrei reversibel. Textinformation bzw. diskrete, in endlicher Quantität abgelegte Zeichen (zu denen ich z.B. auch mathematische Formeln und Schachpositionen zähle) hingegen sind verlustfrei und reversibel in diskrete Systemzustände codierbar und umgekehrt. Mein Vorschlag ist also, "Text" synonym zu "endlicher Menge diskreter Zeichen" zu betrachten, eine im Vergleich zu anderen Textbegriffen (z.B. von Jurij Lotman, aber auch von Derridas "es gibt nichts außerhalb des Texts") bewußt restriktive, technische Definition. Dieser Textbegriff würde alphanumerischen Text in der Tat nur als eine arbiträre von vielen möglichen textuellen Codierungen begreifen, Bilder und Töne aber dann nur gleichberechtigt erfassen, wenn sie diskret codiert sind. So ist z.B. eine Bach-Partitur zweifellos ein Text, die konzertante Aufführung derselben aber keiner, und ihre CD-Aufnahme ist zwar (digital) textuell codiert, aber auch in dem Moment kein Text mehr, da sie analog über einen Lautsprecher wiedergeben wird. > oder ist b) ein durchsichtiges rhetorisches Manöver, um Text > im herkömmlichen Sinn und diskrete Codes miteinander zu verwechseln. > Es scheint theoretisch wenig hilfreich, in einer Ausbeulung des > Textbegriffs den Übergang der Textoberflächen zu Bild- und > Soundoberflächen verdrängen zu wollen. Ich glaube nicht, daß die Dinge so einfach sind, und halte eben diese Diagnose des Übergangs für eine Schwäche der Medientheorie - und für ein Beispiel, wie auch sie Bedeutungen massiv einschreibt. ("Textuelle Oberflächen" gibt es aus meiner Sicht nicht, nur textuelle Codierung - denn auch der alphanumerische Text hat eine Bildoberfläche in Gestalt seiner Typographie oder eine Soundoberfläche, wenn er vorgelesen oder gemorst wird; diese arbiträre Repräsentierbarkeit teilt er als Charakteristikum wiederum mit Bits und Bytes.) Die "Rohrpost" z.B. oder auch der Metamorphose des "Videofests" zu einer "transmediale", die sich zunehmend mit Codierungen beschäftigt und einen Preis für codierte Software-Kunst vergibt, ließen sich als simple Gegenbeispiele anführen. Außerdem sprichst Du selbst nur von "Oberflächen". Ich kenne bisher keine visuelle oder auditive Computer-Oberfläche, die mehr wäre als nur eine rudimentäre Anthropomorphisierung binärer Schalter und Codierungen. Das gilt auch für so ausgefeilte "intuitive" Bild-/Ton-Oberflächen wie Golan Levins "Audiovisual Environment Suite", deren Anthropomorphisierung zwar medientheoretisch beschrieben werden kann (als Emulation des alten Mediums der Körpergestik im neuen Medium des Desktop-Computers), aber vielleicht noch genauer als rhetorische Operation (der Konstruktion einer Sprache, die Elemente verschiedener Sprachsysteme - Gestik, musikalische Partitur, Zeichenschrift - metaphorisch und metonymisch amalgamiert). Und schließlich kenne ich keine Oberfläche, die dort, wo sie dem Benutzer komplexere Steuerungsmöglichkeiten erlaubt, nicht wieder auf die Ebene des Codes bringen würde, wie z.B. das ja schon im Namen verräterische "Scripting" von Applikationen. Natürlich ist es riskant, einen literaturtheoretisch geprägten Textbegriff auf digitale Codes anzuwenden. Neben denen von Dir unter a) und b) benannten Risiken sehe ich jedoch folgende Chancen: a) Die Chance, digitale Zeichensysteme und -maschinen in ihrer Differenz und ihren Spezifikat besser zu beschreiben als eine Medientheorie, die technisch völlig unterschiedliche Zeichenapparate (Radio, Film, Fernsehen, Computer) nur durch das historisch-soziologische Kriterium des (mittlerweile nur noch bedingt) "Neuen" über einen Kamm schert. Das betrifft natürlich solche Medientheorie, die gerne mit Schlagworten wie dem "Virtuellen" und der "Simulation" arbeitet, und damit wahrscheinlich nicht die Medientheorie, die Dich interessiert. Wenn es darum geht, die Strukturen, Beziehungen und Transformationen von Codes zu analysieren, bietet die Texttheorie ein ausgefeiltes, differenziertes Instrumentarium, das aus meiner Sicht nicht zu verachten ist. b) Die Chance, dieses Instrumentarium - und damit das bisherige Verständnis von "Text" - aber am Gegenstand digitaler Zeichensysteme und -maschinen einer gründlichen Revision zu unterziehen und in Beziehung u.a. zur Mathematik und (wie Lawrence Lessig) zur Rechtstheorie zu setzen. Um ihrem Gegenstand gerecht zu werden, muß diese Textwissenschaft eine allgemein semiotische (zeichentheoretische) sein und darf natürlich nicht im traditionellen Sinne literaturwissenschaftlich bleiben. > Damit igelt sich Wissenschaft im Medium der eigenen Produktion ein (denn > schliesslich schreibt sie) und vergibt einmal mehr die Chance, entstehende > Datenströme zu beobachten. Da das Medium und Werkzeug ihrer Produktion heute aber digital ist, in Gestalt eines Code-Gebildes, die mit einer anderen Code-Gebilde [einem Texteditor] geschrieben und einer weiteren Code-Gebilde [einem E-Mail-Programm und allen darunter liegenden Codes wie z.B. dem TCP/IP-Stack und smtp-Dämon] in ein Codegebilde [wie diese Mailingliste] geschickt wird, halte ich diese Nähe nicht für problematisch, sondern sogar für produktiv, wenn man sie denn anständig reflektiert. Es steht mir nicht zu und liegt mir fern, der Medientheorie alle Legitimität abzusprechen, den Computer zeichen- und kulturtheoretisch zu analysieren, sondern ich möchte nur ihr Deutungsmonopol anzweifeln. Ein Beispiel, daß eine textsemiotische Perspektive fruchtbar auch für die historische Verortung von algorithmischer Maschinencodes ist, ergab sich für mich in einem Disput mit Timothy Druckrey über den Begriff der "künstlerischen Software" bzw. "Software Art", den ich als Jurymitglied ja mitzuverantworten hatte: Für mich beginnt Softwarekunst zwar als Begriff erst mit der Erfindung des Computers, nicht aber als Kunstform. Ein frühes Beispiel ist Optatianus Porfyrius' permutativer "Carmen XXV" <http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/optatian/carmen_25.cgi>; ein sehr radikales La Monte Youngs "Composition 1960 #10: Draw a straight line and follow it". Gruß & Dank für die interessante Antwort, Florian -- http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/ http://www.complit.fu-berlin.de/institut/lehrpersonal/cramer.html PGP public key ID 6440BA05 ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost