Manuel Bonik on 13 Feb 2001 18:42:56 -0000 |
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[rohrpost] 3 Minutes Theory |
Manuel Bonik: Three Minutes Theory Informatik unterscheidet bekanntlich zwischen Daten und Programmen, in der Sprache der Automatentheorie: zwischen Zeichenketten und (Turing-)Maschinen. Die Unterscheidung ist hilfreich, um einigen Euphemismen die Luft rauszulassen. Denn - pauschal gesprochen - ist das Problem in der Regel nicht das Gewinnen von Zeichenketten, sondern das Finden und Erfinden von Maschinen, die mit diesen Zeichenketten umgehen können, ihnen also irgendeine Art von Sinn abgewinnen können bzw. diesen Sinn verkörpern. Ein prominentes Beispiel dafür ist die sogenannte "Entschlüsselung des menschlichen Genoms": was hier vorliegt, ist bislang nur eine gigantisch lange Zeichenkette, von der Teile vielleicht die Beschreibung von Maschinen sind, die auf anderen Teilen der Kette operieren. Der Ausdruck "Gen" drückt dabei die Hoffnung aus, daß sich die Zeichenkette in sinnvolle Untereinheiten zerlegen läßt, die man für sich betrachten und also zum Objekt der Operation von Maschinen machen kann; eine Garantie dafür ist allerdings bislang in keinster Weise bewiesen. Nun weiß man aus der Automatentheorie, daß auch sehr kleine Maschinen - z.B. die bekannten "busy beavers" - hochkomplexe Operationen vollziehen können, die aber ein sinnvolles Nachvollziehen durch den menschlichen Geist rasch unmöglich werden lassen. Wäre dann etwa ein Genomabschnitt von, sagen wir mal, 64 Basenpaaren die Beschreibung des Programms eines bestimmten busy beavers, so würde es sich dabei durchaus um eine Einheit handeln, die grundsätzlich etwas Sinnvolles tut. Allerdings ließe sich der Sinn dieses Tuns nicht aus den 64 Basenpaaren der Programmbeschreibung, sondern nur aus der Betrachtung des praktischen Wirkens dieses Programms erkennen, und auch das nur im empirischen Vergleich mit dem Wirken aller anderen Programme, die sich mit beliebigen Kombinationen von 64 Basenpaaren beschreiben lassen. Allein den Sinn dieses kleinen Genomabschnitts zu begreifen, kann also Jahrtausende dauern. Erschwerend hinzu käme unter anderem auch noch das bekannte Halteproblem für Turing-Maschinen in verschärfter Form. Es besteht darin, daß es erwiesenermaßen keine Turing-Maschine gibt, die auf Grundlage der Beschreibung einer Turing-Maschine angeben kann, ob diese halten wird oder nicht. Anders und verkürzt gesagt: es gibt kein Programm, daß für alle Programme sagen kann, ob sie jemals ein Ergebnis liefern. Auch hier ist der Forscher wieder auf Empirie und das heißt: Abwarten angewiesen. Die verschärfte Form des Halteproblems: Was, wenn endlich lebende Organismen mit der Existenz nichthaltender Turing-Maschinen überhaupt kein Problem haben? Ein Programm, das grundsätzlich niemals halten würde und darum gemäß der strengen Lehre gar keinen Sinn hat, würde dennoch laufen und Effekte zeitigen können, bis es - durch den Tod des Organismus - zu einem irregulären Halt kommt. ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost