Florian Cramer on 15 Mar 2001 15:30:15 -0000 |
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Re: [rohrpost] Geistiges Eigentum |
Am Thu, 15.Mar.2001 um 12:47:53 +0100 schrieb Claudia Klinger: > Hallo Listige, > > großer Rundumschlag in der ZEIT: > ...und, aus meiner Sicht, ein Beleg dafür, wie heruntergekommen das journalistische Handwerk der "ZEIT" mittlerweile ist. - Über das Internet als ganzes schreibt der Autor: "Alles lässt sich da finden - spätromantische Gedichte, Nachrichten vom Ticker, Rezepte für Sachertorte, Gensequenzen. Und fast alles umsonst. Was schon sehr eigenartig ist. Schließlich handelt es sich nicht um Schleuderware, sondern um geistiges Eigentum." Diese Formulierung ist reine Propaganda, weil sie (1) geflissentlich verschweigt, daß Werke 70 Jahre nach Tod des Autoren Copyright-freies Gemeingut sind (das gilt z.B. für die spätromantischen Gedichte), (2) es in Gestalt öffentlicher Bibliotheken auch für Copyright-geschützte Werke immer einen offenen Vertriebskanal gab, (3) Wissen - wie z.B. mathematische Formeln - nicht oder nur teilweise dem Urheberrecht unterliegt. Die Frage, ob Gensequenzen patentierbar sind und somit als "geistiges Eigentum" geschützt, ist zumindest in Europa noch nicht entschieden; hier wird die Position von Craig Venter und Monsanto als Selbstverständlichkeit dargestellt. - Bemerkenswert sind die sachlichen Fehler des Artikels: Netzwerk-Software wie BearShare (ein Gnutella-Programm) wird mit Netzwerken verwechselt, "Scour" wird nicht nur falsch geschrieben, sondern auch unrichtig als dezentraler Service klassifiziert: " Tauschbörsen wie Gnutella, Bearshare oder Scoure sind dezentral organisiert und weder technisch noch juristisch zu kontrollieren". - Bezeichnend für das Niveau der Recherche ist auch die Verwechselung der Erfindung des Internet mit der Erfindung des World Wide Web, die Behauptung, Linux werde "ohne Lizenz" vertrieben und Richard M. Stallman sei ein Vertreter von "Open Source". - Weiteres Beispiel der Faktenschlamperei: die Behauptung, "der weltweit größte Internet-Anbieter AOL stellt mit Aimster inzwischen seinen eigenen Tauschdienst bereit." (Aimster setzt zwar auf dem AOL Instant Messager auf, ist aber kein AOL-Produkt.) Wenn ich AOL-Manager wäre, würde ich der "ZEIT" postwendend eine Gegendarstellung ins Haus schicken. Interessant finde ich, daß ein angesehenes Printmedium wie die "Zeit" es sich leisten kann, ein Mixtur aus einerseits durchaus richtigen Beobachtungen, andererseits aber Halbwahrheiten, Falschinformationen und offensichtlichem Unsinn zu verbreiten, die in einem Netzforum wie diesem hier nicht eine halbe Stunde lang kommentarlos Bestand haben würde. Florian -- http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/ http://www.complit.fu-berlin.de/institut/lehrpersonal/cramer.html GnuPG/PGP public key ID 3D0DACA2 ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost