Heiko Idensen on 16 May 2001 20:49:35 -0000


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Re: [rohrpost] Hacker=Kuenstler


>Hi!
>
>Seit Jahren fuehre ich die beruehmte Einsicht von Friedrich Kittler im
>Munde, dass die wahren Kuenstler unserer Zeit die Hacker sind. Jetzt will
>ich's offiziell zitieren, und merke, dass ich gar nicht weiss, wo und wann
>der Meister das gesagt hat. Weiss jemand Bescheid?
Friedrich Kittler hat das wohl mehrmals auch auf Kongressen (u.a auf derArs
Electronica in Linz und auf der  Softmoderne in Berlin ...) geäußert.

Wenn es um eine zitierfähige Stelle geht, könnte man ruhig auf das von Florian
Rötzer herausgegebene Kunstforum  zurückgreifen:
*Ästhetik des Immateriellen*, Bd. 97 und 98,
hier im Teil II, Band 98, Januar/Februar 1989
findet sich dann das aeusserst spannende Gespräch zwischen Friedrich Kittler
und Florian Rötzer: *Synergie von Mensch und Maschine*.
Dort geht es zunächst um eine Rückgewinnung de
um Technologie und Wahrnehmung, Reales und Imaginäres, um den Krieg, um
Schlachtfelder der Wahrnehmung ...
dann wird schon mal scharf geschossen, es hagelt - kurz bevor es endlich
um die hacker geht - eines meines lieblingszitate:

"Unser UKW-Netz entstand nicht zur Unterhaltung und zur
Belehrung einer Bevölkerung, sondern zur Fernsteuerung der
Blitzkriegwaffen zu Land, Luft und See [...] Woraufhin dem
Empire seinerseits die Möglichkeit blieb, ein totales
Analogmediensystem durch ein nicht minder totales
Digitalsystem zu schlagen: Um den deutschen
Wehrmachtsgeheimfunk zu knacken, bauen Turings Freunde und
Schüler den ersten Computer. Der Großdeutsche Rundfunk hatte
Weihnachten 1942, also während sich der Kessel um Stalingrad
schloß, eine Ringsendung zu und von allen Fronten
geschaltet. Berlin rief, zur Antwort kamen Stimmen aus
Stalingrad, dann vom Eismeer, dann vom Atlantik-U-Boot, aus
der Biskaya, Süditalien und Kreta. Alles in Echtzeit und
alles noch hörbar, weil das Tonband eben als Geheimwaffe
eingeführt worden war. Berlin rief noch einmal und die
Noch-nicht-Toten an den Fronten fingen nacheinander mit
Singen an: "Stille Nacht, heilige Nacht" [...] Um die
Ringsendung überhaupt möglich zu machen, mußten die geheimen
Wehrmachtnachrichtenverbindungen ausnahmsweise einmal ins
öffentliche Rundfunknetz eingespeist werden. Dieser Abstand
zwischen Geheimem und Öffentlichem, komplexen Technologien
und Unterhaltungsmedien ist das eigentlich Erhabene, weil er
eine Drohung einschließt: Dieselben Technologien können dazu
dienen, ganze Städte oder Landstriche zu pulverisieren."
(S. 115,116)

 ... dann widerspricht Kittler der Auffassung vom *Krieg der Codes*,
kommt mit MONTAGE, zu Medien-FORMATEN, schickt die Künstler
in die NORMUNGSAUSSCHÜSSE ("dort könnte sie mehr erreichen, als
wenn ihr neues Bild irgendwo im Museum landet . Sie sollten offensiv
werden, statt bloß zu kombinieren, was diue NORMIERUNG unter den
Titeln realität und Fiktion schon längst vorprogrammiert hat. Aus dem
Geplänkel könnten Schlachten werden.", S. 116) ...
... und jetzt kommt er richtig in Form, wendet sich gegen simple
Digitalisierungsstrategien und Medieneffekte holt aus
(..."Der Inhalt eines Mediums , sagt Mc Luhan, ist immmer ein anderes
 Medium und, wie nach aller Erfahrung hinzuzufügen wäre, ein altes.
... Aber daß der Inhalt eines Mediums ein anderes Medium ist, hat
Folgen. In der Unterhaltungskunst sind die Imagines der Maschinen selber
ganz so besetzt wie früher die Menschenkörper.  ... Liebe war eben
auch nur ein Medium - gut für gedruckte Bücher und Luhmanns
Schwanengesang. Filme dagegen werden mehr und mehr zu Gebrauchsan-
weisungen für andere Medien, von Telefon bis hin zum Mikroprozessor.
... Also sind Fernsehen und Telefonieren dazu gut, uns an andere Medien
anzukoppeln - und andere Medien sind Medien, um uns an weitere Medien
anzukoppeln." S. 117)
Und jetzt sind wir - endlich - beim Thema.

Florian Rötzer stellt jetzt seine letzte Frage: Ob die Medien sich also in sich
selber spiegeln, mit den Menschen als Anhängseln - in einer wieder totalen
in sich geschlossenen Welt.

Man kann förmlich sehen, wie Kittler sich aufbäumt, nachlädt  und
dann mit harter diskursiver Munition zurückschießt.
Er spricht immer schneller, überschlägt sich fast, muss dann doch noch mal
die Sache mit der Botschaft einbauen, Lacan und Derrida eins auswischen.
Und sagt dann endlich das, was wir hören wollten, die ganze Zeit ...
(wie immer bei seinen vortraegen muss man seine rede aufnehmen und
mit halber geschwindigkeit wieder abspielen)

"Es gibt keine einzelnen Medien, sondern die Medien sind im
Verbundsystem geschaltet. Wobei die Computer das Schalten selber
besorgen. Ob dieses System aus Algorithmen eine Welt im Wortsinn
der Philosophen bilden kann, steht dahin; aber ohne Geschlossenheit
würde kein System funktionieren.
Was gerade in dieser Geschlossenheit offenbleibt, sind die Möglichkeiten
des Eingreifens und Abfangens, der Intervention und Interzeption. Rauschen
oder Zufälligkeit entsteht nach Shannon immer dort, wo Kanäle die
Teilsysteme eines Medienverbunds aneinanderkoppeln. Deshalb wäre zu fragen,
ob Interventionsmöglichkeiten nicht primär in der Vernetzung von Medien  liegen
und weniger im üblichen Gebrauch oder Mißbrauch von Einzelmedien.
Auch Künste sind, allen Museen und Bibliotheken zu Trotz, nicht nur Techniken
der Speicherung, sondern auch der Übertragung gewesen.
Aus Kanälen aber passiert alles mögliche.
EIne Botschaft, sagte Lacan, erreicht immer ihren Bestimmungsort.
EIne Botschaft, hielt Derrida dagegen, kann ihren Bestimmungsort immer
nicht erreichen. Beides stimmt, einfach weil es Krieg gibt, also
Untergebene auf der einen Seite und Feinde auf der anderen,
Rezeption und Perzeption.
Medien, die ja für technische Kriege entwickelt worden sind,
fallen unter diese Regel.
In ihre Übertragungen und Vernetzungen einzugreifen, sind
gegenwärtig die wirklichen Ereignisse. Kunst, ob Happening
oder nicht, hätte ein Modell zur Mimesis: die Hacker vom CCC
Hamburg. " (S.117)

Vielleicht hat ja jemand noch das ganze interview auf der festplatte
und kann es bei gelegenheit einmal herueberbeamen in die  rohrpost.
Bei textz.com ist zwar vieles von Kittler, dieser text allerdings nicht ...
und das kunstforum ist erst ab band 100 online ...

so long!

hei+co




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