florian schneider on 25 May 2001 06:52:42 -0000


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[rohrpost] online-demo (fr)


[rohrpost leserInnen wissen, dass es natuerlich nicht die
erste online-demo ist. trotzdem aber ist interessant, 
dass es sich offenbar nicht um eine beta-version 
handelt und die simultaneitaet von offline-protest und 
online-demo womoeglich ein enormes potential birgt... /fls]

Sitzblockade auf dem Datenhighway 

 Die vermutlich erste Demo im Internet: Abschiebungsgegner
wollen die Homepage der Lufthansa lahmlegen 

 Von Anke Schwarzer 

 Nicht nur Unternehmen verlagern zunehmend ihre Aktivitäten
ins Internet: Menschenrechtsaktivisten antworten mit
E-Protest auf den E-Commerce. Am Tag der
Lufthansa-Aktionärsversammlung in Köln, am 20. Juni, wollen
die Initiativen Kein Mensch ist illegal (KMII) und Libertad
vor dem Web-Portal der Lufthansa AG online demonstrieren.

 "Wenn Konzerne, die mit Abschiebungen Geld verdienen, ihre
größten Filialen im Internet aufbauen, muss man auch genau
dort demonstrieren", so die beiden Initiativen in einem
gemeinsamen Aufruf. Die geplante Online-Demonstration ist
Teil einer Kampagne, die das Image von Lufthansa ankratzen
soll und dieKMII bereits seit zwei Jahren mit Aktionen in
Reisebüros, Flughäfen und im Internet betreibt. Sie richtet
sich gegen die Beteiligung der Lufthansa an Abschiebungen.
Das bundesweite Netzwerk antirassistischer Gruppen und
Kirchenasyl-Initiativen wurde im Jahr 1997 auf der Documenta
X in Kassel gegründet.

 Die Online-Demonstranten wollen, ähnlich wie bei einer
Sitzblockade vor einem Werkstor, den Zugang der
Lufthansa-Homepage verriegeln. Dafür stellen die beiden
Initiativen auf ihren Internetseiten (etwa:
www.stop-depclass.scene.as) eine Software zur Verfügung, die
automatisch Anfragen an die Lufthansa-Seite schickt. Der
Plan der Abschiebegegner: Am 20. Juni von 10 Uhr
Greenwich-Mean-Time an greifen mehrere tausend Demonstranten
weltweit und zeitgleich auf die Lufthansa-Websites zu. Der
Datensturm, so hoffen die Initiatoren, überfordert den
Großrechner und blockiert diesen für kurze Zeit. Dabei
sollen Daten weder zerstört noch gestohlen werden. Die
Aktion unterscheide sich von den Hacker-Angriffen gegen
Yahoo und CNN im Frühjahr 2000, sagt Anne Morell, eine der
Organisatorinnen der Online-Demonstration. Die Demonstration
sei angekündigt und die Protest-Software im Internet
offengelegt. Die Blockade sei weniger eine Frage der
Technik, sondern hänge davon ab, dass sich viele Menschen
beteiligen.

 Hackerangriffe gegen Regierungsportale und Web-Seiten
privater Firmen gibt es immer wieder; auch politische
Demonstrationen hat die Welt schon viele gesehen. Neu an dem
geplanten Vorhaben ist, dass ein Hackerangriff angekündigt
und vorschriftsmäßig beim Ordnungsamt Köln als Demonstration
angemeldet wird.

 "Ein Unternehmen wie Lufthansa hat selbstverständlich
Vorkehrungen gegen terroristische Hackerschläge getroffen",
so Lufthansa-Sprecher Thomas Jachnow. Michael Dickopf,
Sprecher des Bundesamts für Sicherheit in der
Informationstechnik (BSI) in Bonn ist skeptisch: Eine solche
Attacke abzuweisen sei "ungeheuer schwierig", so der
Computerexperte. Das Unternehmen könne sich gegen den
Angriff nur schützen, wenn es die komplette Web-Seite dicht
mache, so Dickopf. Die vielen Zugriffe verkrafte der Rechner
nicht.

 Ein technischer Schutz, beispielsweise in Form einer
sicheren Software sei noch nicht in Sicht. "Wir befinden uns
in einem Dilemma", sagt Dickopf. Einerseits beruhe das
Internet strukturell auf dem offenen Zugang für alle,
andererseits müsse aber auch ein störungsfreier Ablauf
gewährleistet werden.

 Die Lufthansa prüfe bereits juristische Schritte, um gegen
"die äußerst aggressive Initiative" vorzugehen, sagt
Lufthansa-Sprecher Jachnow. Die Vorwürfe von KMII weist er
von sich: Das Unternehmen sei dazu verpflichtet, Personen,
die nach einem rechtsstaatlichen Verfahren abgeschoben
werden müssen und ein gültiges Ticket haben, zu befördern.

 Insbesondere der Tod von Aamir Ageeb während einer
gewaltsamen Abschiebung in einer Lufthansa-Maschine hatte zu
Protesten gegen die Fluglinie geführt. Am 28. Mai 1999
erstickte der Sudanese an Bord der Lufthansa-Maschine LH
558, nachdem ihn drei Grenzschutzbeamte gefesselt und ihm
einen Motorradhelm aufgesetzt hatten. Ageeb ist bereits das
zweite Todesopfer in einer Lufthansamaschine.

 Rund 35 000 Personen hat der Bundesgrenzschutz im Jahr 2000
abgeschoben, fast die Hälfte davon, so schätztKMII, mit der
Lufthansa. Das Flugunternehmen selbst nennt weder Zahlen
noch Schätzungen.

 Seit dem letzten Todesfall 1999 befördert die Lufthansa
nach eigenen Angaben keine Personen, die "erkennbar"
Widerstand leisten. "Wir wollen vermeiden, dass die
Abschiebung auffällt und den anderen Fluggästen unangenehm
aufstößt", sagt der Lufthansa-Sprecher. Die Initiative aber
verlangt von der Lufthansa die Garantie, vor jedem Abflug zu
prüfen, ob Passagiere mit dem Flug einverstanden sind. Laut
KMII ist eine solche Prüfung bereits Praxis der belgischen
Fluggesellschaft Sabena. Die Fluglinie zog damit die
Konsequenz aus dem Tod der 20-jährigen Nigerianerin Semira
Adamu, die im September 1998 an Bord einer Sabena-Maschine
während einer gewaltsamen Abschiebung erstickt wurde.

 "Das Luftverkehrsgesetz besagt lediglich, dass jeder, der
einen Personentransport mit dem Flugzeug wünscht, auch
zugelassen werden muss. Die Beförderungspflicht hat aber
nicht zum Inhalt, dass Menschen, die nicht fliegen wollen,
auch geflogen werden müssen", ist der Standpunkt von KMII.

 Auch die Pilotenvereinigung Cockpit empfiehlt ihren
Mitgliedern, nicht an "unfreiwilligen Abschiebungen"
mitzuwirken. Da der Flugkapitän die Bordgewalt - auch
gegenüber dem Bundesgrenzschutz - habe, hafte er
möglicherweise bei Verletzungen oder dem gewaltsamen Tod von
unfreiwilligen Passagieren.

 Ob der virtuelle Kranich am 10. Juni tatsächlich offline
geht, ist ebenso unklar wie die juristische Bewertung der
Blockade als Online-Demonstration. Die Lufthansa jedenfalls
sehe der Online-Demonstration "mit äußerster Gelassenheit"
entgegen, so ihr Sprecher Jachnow.

 Sehr entspannt gehen auch die Aktivisten mit den
angedrohten juristischen Konsequenzen um. Es gebe keinen
Grund dafür, dass ein demokratisches Grundrecht im Internet
außer Kraft gesetzt werden könne, sagt Sven Meier von der
Gruppe Libertad "Das Cyberspace ist ein weiterer
öffentlicher Raum des digitalen Zeitalters, in dem - wie in
den Städten und Straßen - nicht nur Geschäftsbeziehung statt
findet, sondern auch die sozialen und politischen Konflikte
ausgetragen werden."


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Copyright © Frankfurter Rundschau 2001 
Dokument erstellt am 24.05.2001 um 21:17:12 Uhr 
Erscheinungsdatum 25.05.2001

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