Krystian Woznicki on Thu, 6 Dec 2001 11:49:53 +0100 (CET)


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[rohrpost] TELEPOLIS: Browse mich, Baby


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  Browse mich, Baby

  Stefan Krempl   06.12.2001

  Der 5. Internationale Browserday suchte in Berlin nach alternativen
Navigationsmedien für die mobilgesinnte Generation

  Die neue Browsergeneration hat mit ihrem von Marc Andreessen 1993
entwickelten Vorfahren Mosaic nicht mehr viel zu tun. Sie bildet
Schnittstellen zwischen Cyber- und Cellspace mit der realen Welt und
verkuppelt Menschen und Maschinen mit-, unter- und übereinander.

  Die Bilder verschlingen sich gegenseitig auf der großen Leinwand.
Gerade noch blendet sich [1]Jaanis Garancs, Student an der
[2]Kunsthochschule für Medien Köln auf dem Video in eine Disco ein,
dann sind die Zuschauer mit ihm schon wieder mitten auf dem Highway.
Der "Big Brotherhood Browser" machts möglich, den Jaanis durch die
Verschmelzung der Kamera-durchleuchteten realen und der virtuellen Welt
der Datennetze schafft. Mit "Tausenden von Kameras" will der Designer
jeden einzelnen Menschen bewaffnen, die alle in einem Supersystem
zusammenlaufen. Jeder könnte dann ans Netz angekoppelt das Leben der
anderen durchbrowsen, während der Große Bruder Datenbank alles
gleichzeitig beobachtet und allwissend wird. Noch ist Jaanis'
Orwellianischer Navigator eine Vision. Doch Designskizzen aller Art
waren am Dienstag auf dem [3]5. Internationalen Browserday - die
Website wurde von dem Erstpreisträger und Fensterliebhaber [4]Joes
Koppers gestaltet - in der dem Berliner Nebel und Regen trotzenden
[5]Volksbühne genauso gefragt wie fertige Projekte.

  "Wir versuchen hier etwas anderes zu präsentieren als den normalen
kommerziellen Kram", erklärte Mieke Gerritzen. Die Holländerin von der
[6]Agentur NL.Design hat den Wettbewerb 1998 zusammen mit ihrem
Landsmann Geert Lovink ins Leben gerufen. Es ging ihr darum, dem damals
"so kranken Neuen-Medien-Betrieb" eine nicht nur auf Börsenkurse und
Gründer-Spirit schielende Bewegung entgegenzusetzen.

  Mobile on my Mind

  Die hippe und im Outfit wie in ihren Werken alle Standards
unterlaufende Szene von Webdesignern, Netzkünstlern und Surfern gab
sich dieses Jahr absolut "Mobile Minded". Der sich aus Handys, PDAs und
anderen tragbaren Computer-Gadgets bildende "Cellspace" sollte
künstlerisch als neue Kommunikationsumwelt erforscht werden.

  Auch politische Ziele sahen die Veranstalter, zu denen die
Bundeszentrale für Politische Bildung ( [7]BPB) gehörte, mit diesem
Motto verbunden. "Wir fordern die Demokratisierung des gesamten
drahtlosen Raums", verkündete Mieke Geeritzen. Denn noch sei das mobile
Netz ein "höchst kommerzielles und kontrolliertes" Gebilde, das einer
Öffnung bedürfe. Gleichzeitig wohne der "Mobilisierung" aber durchaus
das befreiende Element inne, sich nach Lust und Laune zu bewegen und
festgefahrene Strukturen zu hinterfragen.

  Monopole sind dumm

  Thomas Krüger, Präsident der BPB, schlug in seiner Eröffnungsrede noch
eine weitere Brücke, nämlich die zwischen "Informationsfreiheit und
gestalterischer Freiheit". Die Designer rief er auf, mit Hilfe ihres
Ideenreichtums notwendige Freiräume bei der Gestaltung unserer
Informationsarchitektur zur Geltung zu bringen.

  Mit Hinblick auf den beherrschenden Marktanteil des Internet Explorers
von Microsoft im Bereich der Standard-Browser wies Krüger darauf hin,
dass "Monopole nicht nur bequem, sondern auch dumm und uns alle ärmer
machen." Entwicklungen wie Freie Software und Peer-to-Peer-Netzwerke
begrüßte der SPD-Politiker in diesem Zusammenhang ausdrücklich, das
sich mit ihnen eine "grundlegende soziale und politische Dimension der
neuen Informations- und Kommunikationstechnologien zu Wort meldet."

  Den aus 60 Bewerbern ausgewählten 30 Wettstreitern blieb in der
Volksbühne dann jeweils knapp bemessene drei Minuten Zeit, um ihre
Browservisionen und Schnittstellen dem Publikum und der Jury
schmackhaft zu machen. Unerbittlich wachte eine die Sekunden zählende
Computeruhr über die Einhaltung des Reglements.

  Eine halbe Minute vor Schluss raunte der Moderator, Willem Velthoven
von der gleichzeitig die meisten Studenten ins Rennen um den tollsten
Browser schickenden Hochschule der Künste Berlin ( [8]HdK), zudem
jeweils ein sonores "30 seconds" ins Mikrofon. Professionelle
Präsentatoren hatten allerdings eh genau getimte Videos für den Final
Countdown erstellt, sodass ihnen die tickende, den Höhepunkte mancher
Vorstellung darstellende Uhr nichts anhaben konnte.

  Um die Datenwelt in 180 Sekunden

  Was die jungen Designer aus den Niederlanden, Kanada, Italien und
Deutschland in den 180 Sekunden vorstellten, drehte sich weit gehend um
das verbindungsstiftende Element der Mobilkommunikation. Geradezu
obsessiv lotete ein Großteil der Wettbewerber neue Möglichkeiten aus,
wie sich die den Menschen ständig begleitende Kleingerätewelt zum
Kontaktknüpfen oder schlicht und einfach zum Maschinen-unterstützten -
und dadurch weniger peinlichen - Anmachen nutzen lässt.

  Die [9]C-Watch zum Beispiel, die sich Anne Katrin Konertz und Camilla
Hager von der HdK ausgedacht haben, ist eine Art Walkman, mit der sich
allerdings nicht nur die eigene Musik, sondern auch die der anderen
Passanten hören lässt. Das "C" steht dabei natürlich für "Connecting",
denn Ziel der ganzen Geschichte ist es, in gleichen musikalischen
Sphären schwebende Menschen zusammenzuführen. Im Präsentationsvideo
fanden denn auch die Joggerin und der Jogger am Grundwaldsee
zueinander.

  Auf einem ähnlichen Gedanken fußt die [10]mDISCO des HdK-Studenten
Jakob Lehr. Auf dem tragbaren Mini-Rechner stellt der Benutzer zunächst
seine eigenen Vorlieben ein. Betritt er ein Café oder kommt er sonst
anderen Menschen räumlich nahe, checkt sein automatischer Kuppler die
Geräte der anderen Personen. "Wenn sich zwei mit ähnlichen Interessen
gefunden haben, piept es", erklärt Jakob. "Und dann sind die Leute
freundlich zueinander."

  Vom Hundehalter-Syndrom zur perfekten Anmache

  Und dann war da noch Dennis Paul (HdK), dessen [11]Me2-Projekt
denselben Zweck mit etwas mehr Komplexität erfüllen soll und daher auch
glatt in die Endrunde kam. Dennis ist schüchtern, wie er in der
Volksbühne offen legte. Mit dem Me2-Gerät lässt sich daher ein
virtuelles Alter Ego im Handheld erstellen, das der Student zunächst
größtenteils autonom mit den Statthaltern anderer Menschen verhandeln,
spielen oder streiten lässt. Bleiben gemeinsame Interessen übrig, macht
die Technik ihre Besitzer auf die Anknüpfungspunkte aufmerksam. Als
Vorbild stand Dennis das "Hundehalter-Syndrom" vor Augen - denn die
kommen ähnlich wie die Raucher schließlich immer leicht miteinander ins
Gespräch.

  Ganz zum "Friend" wird das GPS-gestützte mobile Gadget im
gleichnamigen Projekt Dirk van Oosterboschs von der Amsterdamer
[12]Gerrit Tietveld Academy. Auch hier werden Daten anderer Anwender
gesammelt und "diskret untereinander ausgetauscht", bis das Gerät zum
ultimativen Stadtführer und zum Schutzengel in allen Lebenslagen wird.
Doch die Verlagerung des gesamten sozialen Netzwerks und der
Orientierungskompetenz in die Maschine hat auch ihre Nachteile, weiß
Dirk: "Wenn das Ding kaputt geht, bist du total verloren."

  Jeder browst jeden

  Deutlich wurde angesichts der Designskizzen der Mobile Generation
jedenfalls, dass die Privatsphäre hinter den Konnektierungswünschen
zurücksteht. Denn ohne persönliche Informationen funktioniert die
Freundsuche nicht. In zahlreiche Projekte wie etwa den Big Brotherhood
Browser mischt sich zudem etwas Teleorg(i)astisches, wie auch der sich
ständig auf der Suche nach dem Sinn der Präsentationen machende
Moderator feststellte. Die gekoppelte Kamerawelt des Kölner Studenten
erinnerte ihn jedenfalls an den "Gruppensex der 70er". Das Motto für
die Zukunft ist für Velthoven damit klar: "Jeder browst jeden."

  Unsere kleinen Begleiter werden damit verstärkt zu cyborgschen
Fetischen für die Massen. Sie übernehmen die Navigation durch den
Cyberspace und die "reale" Welt, werden zum Interface zu signifikanten
und sofort wieder aus dem Speicher gestrichenen Anderen. Wohin die
Reise geht, zeigten denn auch zahlreiche weitere, mit virtuellen
Charakteren, 3D-Welten, "Kontakt"-Linsen und kollaborativen
Fortbewegungsarten spielende Projekte wie [13]Second Skin,
[14]Stadtwirklichkeit oder [15]Next Generation Internet Browser.

  Mobil am Schluss

  Nach siebenstündigem Schwelgen in mobilen Gerätewelten hatten die
Zuschauer allerdings anscheinend genug von der ausgebreiteten
High-Tech-Welt: Der Publikumspreis ging am Abend an die Gruppe SP-OL
der Stuttgarter Merz-Akademie, die mit ihrem Low-Tech-Ansatz "unsere
ständig wachsende Begierde zum Schaffen vernetzter Welten"
persiflierten. Ihren "Instant Mobile Offline Networking Frame" (
[16]IMON) kann sich jeder Nutzer ausdrucken, vor die Augen halten und
dann die ganze Welt durch sein Browserfenster betrachten. Free Pics
downloaden? Einfach mit der Hand durch IMON greifen und die Poster von
der Wand abnehmen.

  Die hohe Jury, der unter anderem Oilia Lialina von der Merz-Akademie,
Claudius Lazzeroni von der Gesamthochschule Essen sowie Joachim Sauter
von der Hdk Berlin angehörten, entschied sich dagegen für die sehr
künstlerisch angehauchte, stark auf Architekturprinzipien setzende
Webprojektion [17]Datenamort.de. Die frohe Botschaft übermittelte
Velthoven dem Preisträger themengerecht - übers Handy. Der
Architekturstudent musste nämlich gleichzeitig sein Diplom an der HdK
verteidigen und konnte daher nicht persönlich anwesend sein. Er reist
im nächsten Jahr nach Amsterdam, wohin der Browserday wieder heimkehren
wird.

  Links

  [1] http://jg.x-i.net/
  [2] http://www.khm.de/
  [3] http://www.browserday.com/
  [4] http://www.usemedia.com/
  [5] http://www.volksbuehne-berlin.de/
  [6] http://www.nl-design.net/
  [7] http://www.bpb.de/
  [8] http://www.hdk-berlin.de/
  [9]
http://dingbats.digital.hdk-berlin.de/anne/projektEM05-00WS/projekt/
  [10] http://dingbats.digital.hdk-berlin.de/jakob/
  [11] http://www.d3-is.de/me2/
  [12] http://www.gerritrietveldacademie.nl/
  [13] http://www.secondskin.com/
  [14] http://wolf.formlos.com/stadt_wirklichkeit/
  [15] http://www.human-interface.de/lehre.html
  [16] http://www.imon.de/
  [17] http://www.datenamort.de/

  Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/sa/11286/1.html

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