Anlässlich der Einzelausstellung der Gruppe IRWIN (NSK) - "Rekapitulation" im Museum Ostdeutsche Galerie in Regensburg (Pressekonferenz: Freitag, 8. Maerz. 2002, 11 Uhr; Dauer der Ausstellung: 10. Maerz - 14. April. 2002) erscheint folgende Publikation:
"Our freedom is the freedom of those who think alike."
"We [...] are the engineers of human souls."
"Art and totalitarianism are not mutually exclusive. Totalitarian regimes abolish the illusion of revolutionary individual artistic freedom."
Diese Zitate stammen weder aus Programmen totalitärer Regierungen, noch sind sie Aussprüche stalinistischer oder faschistischer Politiker. Es handelt sich vielmehr um programmatische Aussagen des slowenischen Künstlerkollektivs Neue Slowenische Kunst (NSK), das sich Anfang der 1980er Jahre in Ljubljana, der Hauptstadt der Jugoslawischen Sozialistischen Republik Sloweniens, gegründet hatte. Die NSK sorgte seit 1984 mit ihren Aktionen für Verwirrung und rief in Jugoslawien sowie im Ausland empörte Reaktionen hervor. Denn dieses Künstlerkollektiv trat mit dem Vorsatz auf, ‚totaler als der Totalitarismus’ zu sein. Nicht Ironie, Satire oder Parodie waren die treibende Kraft hinter den Aktivitäten des Kollektivs, nicht kritische Distanz zur herrschenden Ideologie und dem Totalitarismus. Die Strategie der NSK bestand vielmehr in einer affirmativen Über-Identifizierung.
Die erste, nun vorliegende Gesamtdarstellung des Künstlerkollektivs Neue Slowenische Kunst (NSK) präsentiert die wichtigsten Unterabteilungen der NSK – zuständig für Musik, bildende Kunst, Tanz/Performance und Grafikdesign (Laibach, Irwin, Gledalisce Sester Scipion Nasice/Kozmokineticno Gledalisce Rdeci Pilot, Novi Kolektivizem). Außerdem stellt die Monographie die theoretischen und künstlerischen Konzepte der NSK wie Retrogarde und Über-Identifizierung im gesellschaftlichen und politischen Kontext dar, der sich während der 1980er Jahre in Slowenien bzw. Jugoslawien entwickelte. Die Neue Slowenische Kunst betrieb subkulturelle Eskalationsspiele, die auf die Existenz nationalistischer Mythen und das Vorhandensein des (totalitären) Begehrens nach freiwilliger Unterordnung verwiesen. "Das Phantasma durchqueren" hat der Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Zizek diese subversive Strategie genannt.
Inke Arns deutet die von der NSK in den 1980er Jahren eingesetzten radikalen künstlerischen Strategien als ästhetische Umsetzung der seit Beginn der 1980er Jahre formulierten Theorien der slowenischen Lacan-Schule um Slavoj Zizek. Diese Schule wurde zu einem bedeutenden theoretischen Fundament des Selbstverständnisses der subkulturellen Szene Ljubljanas, die wiederum zur wichtigsten Kraft für die Entstehung bzw. die Wiederentdeckung der Zivilgesellschaft in Slowenien werden sollte.
Die Neue Slowenische Kunst wurde vielfach rückblickend zum Katalysator der slowenischen Pluralisierungs- und Demokratisierungsprozesse erklärt. Inke Arns geht der Frage nach, warum paradoxerweise gerade der Totalitarismus der geistigen Terroristen der NSK einen nicht unerheblichen Beitrag zur Demokratisierung eines semitotalitären Systems geleistet hat. Die Publikation wird ergänzt durch ein Interview, das die Autorin mit Irwin im März 2000 in Ljubljana führte.
Museum Ostdeutsche Galerie Regensburg
Dr.-Johann-Maier-Str. 5
93049 Regensburg
Die Künstlergruppe IRWIN entstand Anfang der 80er Jahre in Ljubljana, der Haupstadt der Slowenischen Teilrepublik der damaligen Jugoslawischen Föderation. Sie nannte sich Rrose Irwin Sélavy, wodurch ihr Bezug zum Werk des radikalsten Vertreter und schließlich auch Überwinder der Moderne, Marcel Duchamp und seinen ready mades, zum Ausdruck gebracht werden sollte. Irwin arbeitet mit bildnerischen ready mades - ausgewählten und bereits existierenden Bildern - Symbolen, Gestalten und Kompositionen, um sie - ähnlich wie die Pop Artisten, die seit den späten 50er Jahren auch ”bereits gemachte” Vorbilder (Comics, Vignetten, Farbdrucke aus Zeitungen und Illustrierten, Reklamen) in ihren Kunstwerken verarbeiteten - zu neuen Bildkollagen zusammenzustellen. Während sich jedoch diese Appropriationen (”Ausbeutung”) in der Pop Art meistens im allgemein Formalen bewegen (Motto: the medium is the message) stossen die Arbeiten von Irwin in eine Dimension vor, die für die westliche Rezeption oft Schwierigkeiten bereitet - sie werden politisch. Der Betrachter wird mit überdeutlichen politischen Anspielungen auf totalitäre Regime konfrontiert. Die Penetranz und Radikalität, mit denen Irwin Symbole verschiedener, scheinbar miteinander nicht zusammenhängender machtideologischer Systeme zusammenbringt, wirken auf den ersten Blick übertrieben, künstlich oder gar abstossend. Ikonen verschiedener undemokratischer und populistischen Epochen - Kreuz, Herz, Hirschgeweih, Quadratt, Sämann, Arbeiter, u.ä.m. - werden von Irwin zu neuen mehrschichtigen Bildern zusammenmontiert. Irwin nennt seine Arbeitsmethode die retrogardistische Überidentifizierung und deutet damit an, dass dabei - im Unterschied zu der Avantgarde - der Blick nicht nach vorne, sondern in die Vergangenheit gerichtet wird. Die in der (slowenischen) Vergangenheit entdeckten totalitäre Gesellschaftssysteme (mittelalterlicher Despotismus, Faschismus, Stalinismus) werden aber nicht ”aufklärerisch” krititisert oder ironisiert, sondern in einer bildnerischen Überdeutlichkeit ”nachgestellt”: Überidentifizierung. Die Offenheit und ”Schamlosigkeit”, mit denen Irwin die politisch-inhatlichen Aussagen verarbeitet gehen weit über z.B. die postmoderne Kritik an der Dogmatik der Moderne hinaus und bedürfen einer Erklärung: In den Gesellschaften des ehemaligen realen Sozialismus übernahm die Kunst teilweise die Rolle der Politik: Neben der offiziellen Kunst bildete sich - vor allem in den Tauwetterphasen - eine halboffizielle künstlerische Grauzone, die weitgehend offen und kritisch und doch noch nicht verboten war. Auf der Bühne, in Filmen, Konzerten oder Ausstellungen konnten Kommunikationen entwickelt werden, die latent einen politischen Charakter trugen. Die 80er Jahre in Jugoslawien waren noch widersprüchlicher: Das Tito- Regime galt jahrzehntelang als der Musterknabe des liberalen Sozialismus und wurde weltweit bewundert. In der Tat gab es in allen Bereichen grössere Freiheiten als anderswo im ”Osten”. Nach Titos Tod kamen die verschütterten Widersprüche um so stärker zum Vorschein, gleichzeitg waren aber auch die Künstler und die intellektuelle Schicht stärker gewohnt, sich zu engagieren und zu wehren. Als 1984 die Gemeinschaft Neue Slowenische Kunst (NSK), deren Mitgleid auch Irwin war, gegründet wurde, galt die ironische, kritische und wahrheitssuchende Auseinandersetzung mit dem Regime bereits als obsolet. Man glaubte weder an die Reformierbarkeit des Systems noch an die Möglichkeit der Fehlerbeseitigung der real-sozialistischen Deformationen. Die Strategie, die die NSK entwickelte hieß ”Überidentifizierung”, man wollte in den Konzerten, Theatervorstellungen, Performancen, Installationen und Bildern die tatsächliche Welt des Regimes noch perfekter und perfider nachstellen als es das Regime selbst in der Wirklichkeit tat. Damit sollten nicht nur Enthüllungsmechanismen freigesetzt, sondern auch die Standhaftigkeit des Regimes selbst getestet werden. Die NSK und damit auch Irwin verfolgte diese Strategie mit einem großen Erfolg und sie trug wesentlich zur Beschleunigung des Demokratisierungsprozesses in Slowenien bei. Vor diesem Hintergrund ist die künstlerische Praxis der Gruppe Irwin zu verstehen. Nachdem die politische Zensur und damit auch der Zwang, gegen sie zu kämpfen, in den 90er Jahre verschwand, suchte die Gruppe nach einer neuen strategischen Position. Gefunden wurde sie in der Thematisierung des Staates als eine Organisationsform, die weltweit mit Gewaltmonopol und Ideologiemanipulation jongliert. Die NSK hatte einen konzeptuellen Staat gegründet (Drzava v casu - Staat in der Zeit), den man nur in temporären Erscheinungen wahrnehmen kann - in Ausstellungen, Aktionen oder Vorführungen. Der Staat in der Zeit gleicht einer Geheimorganisation, die überall und nirgendwo zu finden ist und somit den idealen Machtstaat aller Zeiten verkörpert. Die Installation Rekapitulation, mit der sich IRWIN zum ersten Mal südlich des Rheins in Deutschland vorstellt, zeigt einen ”Rückblick” und die bisherige künstlerische Strategie der Gruppe - die retrogardistischen Ikonen, Materialisationen des virtuellen Staates in Bild und Wort.
Die Ausstellung wird in Anwesenheit der Künstler am 10. März um 11 Uhr eröffnet. Zur Ausstellung wird als Katalog ein Buch von Inke Arns, Neue Slowenische Kunst für 20 EUR angeboten. Das Projekt wurde duch die Bayerisch-Slowenische Gesellschaft in München unterstützt.
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