Andreas Broeckmann on Wed, 15 May 2002 13:34:05 +0200 (CEST) |
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[rohrpost] a. broeckmann: Minoritaere Medien und vernetzte Kunstpraxis |
[dieser text ist fuer den juengst erschienenen suhrkamp-band 'Praxis Internet' (hg. Stefan Muenker u. Alexander Roesler, Frankfurt/M. 2002, EUR 11) geschrieben worden, in dem es u.a. auch um urheberrecht, netzliteratur, datenschutz, etc. geht - das netz nicht mehr als mythos, sd. als konkrete soziale und kulturelle praxis; ab] Andreas Broeckmann Konnektive entwerfen! Minoritaere Medien und vernetzte Kunstpraxis 1. Einleitung Die Gegenwart ist gepraegt von tiefen gesellschaftlichen Verwerfungen, die durch das Aufeinandertreffen verschiedenster kultureller und technologischer Dynamiken noch verstaerkt, wenn nicht ueberhaupt hervorgerufen werden. Oekonomische, politische und technologische Tendenzen der Globalisierung sowie die Herausbildung dessen, was Antonio Negri und Michael Hardt als Empire charakterisieren [1], laufen parallel mit der Entwicklung von Kulturtechniken und -praktiken, die sich um Kommentar, Kritik oder Gestaltung des neuen expansiven Wahrnehmungsraumes bemuehen. Die Medien- und Kommunikationstechnologie, allem voran das Internet, hat in den vergangenen zehn Jahren eine intensive kuenstlerische Bearbeitung erfahren und ist zu einem Gegenstand kultureller Auseinandersetzung geworden, wie es in frueheren Jahrzehnten mit Telefon, Radio, Fernsehen und anderen Medientechniken nie der Fall gewesen ist. Die Anfangseuphorie ueber das neue, freizuegige Medium wich dabei schnell der Einsicht, dass sich auch hier - ueber Protokolle, Standards, Lizenzen und Kontrollinstrumente - politische und oekonomische Interessen durchsetzen und unabhaengige kulturelle Initiativen in Nischenpositionen abgedraengt werden. Im Folgenden soll deshalb ein kurzer Abriss der Kunstpraxis mit dem und im Internet gegeben werden, wobei der Schwerpunkt auf der Darstellung einiger Kernkonzepte und beispielhafter Kunstprojekte liegen wird. Eine wichtige Frage ist hierbei, inwiefern solche Projekte in der Lage sind, Spielraeume fuer eine kritische Praxis zu schaffen, und wo ihr tatsaechlicher Wirkungsbereich liegt. Ganz grundsaetzlich sind zwei Herangehensweisen zu unterscheiden, die die kuenstlerische Arbeit mit dem Netz charakterisieren: zum einen die Verwendung des Internets als telematisches Uebertragungsmedium, das vielfaeltige Formen der Kommunikation zwischen lokal und individuell agierenden Menschen und Maschinen ermoeglicht, und zum anderen die Nutzung des Internets und seiner technologischen Struktur als spezifischem Handlungsraum, der von den Bedingungen der konnektiven Verknuepfung einer Vielheit menschlicher und technischer Akteure bestimmt ist. Es soll versucht werden zu zeigen, dass dieser zweite Aspekt aus kulturwissenschaftlicher Perspektive weitaus bedeutender ist, da sich hier nicht nur neue Moeglichkeiten individualisierten Handelns beobachten lassen, sondern vielmehr die epistemologischen Verschiebungen deutlich werden, denen die zeitgenoessischen Begriffe von Subjekt, Handlung, Arbeit und Gesellschaft unterworfen sind. Die Kunst ist hierbei weder Ursache noch Ziel, sondern bisweilen bedeutsame Projektions- oder Artikulationsflaeche, einflussreicher Katalysator oder aesthetischer Resonanzraum exemplarischer sozialer Prozesse. [2] 2. Netz-Kunst Die Kunstpraxis im Internet steht, mit unterschiedlichen Mischungsverhaeltnissen, in den Traditionslinien von Situationismus und Fluxus, Mail Art, Konzept- und Telekommunikations-Kunst. Ihre Erscheinungsformen sind vielfaeltig und lassen sich nicht ueber einen Kamm scheren, auch wenn sich inzwischen deutliche Typologien herausgebildet haben. [3] In den Jahren 1995 bis 1998 beschaeftigten Kuenstler und Gruppen wie JODI, Vuk Cosic, Alexej Shulgin, Rachel Baker, Olia Lialina oder Cornelia Sollfrank sich mit medientheoretischen, kulturellen und aesthetischen Aspekten vor allem des World Wide Web. JODI zum Beispiel programmierten ihre Webseiten so, dass diese die Fehler und Unzulaenglichkeiten von PC und Browser-Software als eigenwillige graphische Effekte darstellen. Vuk Cosic und Alexej Shulgin arbeiteten mit der Semiotik des Webs, so in Cosics ASCII Art Projekten oder seiner vollstaendigen Kopie des documenta X Websites und in Shulgins Form Art Projekt, bei dem er die standardisierten Formularelemente (Buttons, Klick-Felder, Textfelder, usw.) als graphische Versatzstuecke einsetzte. Rachel Baker thematisierte das Web als kommerziellen Raum, in dem neue Subjektidentitaeten des modernen Konsumenten entwickelt werden, waehrend Olia Lialina sich mit den Moeglichkeiten der Uebertragung filmischer Erzaehlstrukturen ins Netz beschaeftigte. In den meisten dieser Projekte findet die Interaktion zwischen dem Computer des Nutzers und dem jeweiligen Webserver statt, auf dem die Daten liegen. Immer wieder spielt auch die soziale Bedeutung der Web-Inhalte und ihrer Strukturen eine Rolle, so z. B. in den zahlreichen Projekten, die Online-Suchmaschinen zum Ausgangspunkt nehmen. Weniger wichtig in dieser Phase der Netz-Kunst war das Netz selber als sozialer Handlungsraum, in dem sich konkrete und medienspezifische Interaktions- und Kooperationsformen herausbilden. Stattdessen wurde es auf der Phaenomen-Ebene hinterfragt und ironisiert. Dadurch bieten viele solcher net.art Projekte, zu denen auch die oeffentlichen Aktionen Heath Buntings zu zaehlen sind, wichtige Reflexionen auf die entstehende Populaerkultur des Netzes. In kuenstlerischen Kontextprojekten wie The Thing (u.a. New York), Internationale Stadt Berlin oder Public Netbase (Wien) wurden zudem technologische und kulturelle Umgebungen geschaffen, durch die sich eine unabhaengige Netzkultur ueberhaupt erst entwickeln konnte. Kuenstler wie Paul Garrin, Marko Peljhan oder die Gruppe Etoy, beschaeftigten sich darueber hinaus mit den spezifischen technischen und politischen Grundlagen der Internet- und Telekommunikations-Technologie und drangen so in Bereiche politischer Auseinandersetzung jenseits des beschuetzten Raumes autonomer Kunstpraxis vor. Paul Garrin bespielsweise bemueht sich seit 1996 im Rahmen des Projekts Name.Space um eine Oeffnung des Vergabeprinzips der Domain-Namen im Internet, die sich spaetestens seit der Gruendung der ICANN Regulierungsinstitution 2000 zu einem der wichtigsten oekonomischen und politischen Streitpunkte in Bezug auf das Internet entwickelt hat. Mit seiner Klage gegen die diese Namen vergebende Firma InterNIC hat Garrin, dem es um ein Zeichen fuer die Freiheit der Namenswahl und damit der symbolischen Selbstbestimmung ging, einen wichtigen Impuls fuer eine aufgeklaertere Internetpolitik gegeben. In aehnlich aktivistischer Weise beschaeftigt Marko Peljhans Makrolab sich seit 1997 mit politischen, militaerischen und rechtlichen Aspekten der Satellitenkommunikation. Durch die strategische Aneignung von technologischem Wissen und praktischer Erfahrung wird das techno-politische Dispositiv erforscht, benutzt und transparent gemacht; Peljhans kuenstlerische Arbeit bewegt sich damit explizit in der Tradition der Avantgarde des fruehen 20. Jahrhunderts. 3. Minoritaere Medien Die Entwicklung der kuenstlerischen Praxis im Netz ist unmittelbar an die rasante Entwicklung digitaler Technologien gekoppelt, die in den vergangenen zwanzig Jahren eine tiefgreifende Veraenderung der Produktions- und Praesentationsbedingungen der Medien bewirkt hat. An die Stelle zentralistischer Studio- und Senderstrukturen ist, zumindest von technischer Seite, die Moeglichkeit verteilter Strukturen getreten, in denen eine wachsende Zahl von Produzenten eigenstaendig ihre Inhalte herstellen und distribuieren kann. [4] Felix Guattari hat diese Situation schon Anfang der 1990er Jahre in seiner Utopie eines 'postmedialen Zeitalter' dargestellt. An die Stelle einer globalen Kommodifizierung der Identitaeten durch die Massenmedien koenne eine breites und heterogenes Feld medialer Aktivitaeten treten, fuer die die freie Radioszene und das franzoesische Minitel-System als Modell dienten. "Ein entscheidender programmatischer Punkt der sozialen Oekologie wird es sein, diese kapitalistischen Gesellschaften der massenmedialen Aera einer post-massenmedialen Aera zuzufuehren; darunter verstehe ich, dass sich der Massenmedien wieder eine Vielheit von Subjekt-Gruppen bemaechtigt, die in der Lage sind, sie auf einem Vereinzelungspfad zu verwalten." [5] Freilich war sich auch Guattari der Uebermacht der Medienindustrie und ihrer oekonomischen Interessen bewusst, weshalb er 'Post-Media' stets als moegliches, nicht als notwendiges Trajekt beschrieb. Und auch Howard Slater, der den Begriff des Postmedialen seit Ende der 90er Jahre aufgegriffen hat, um ihn auf konkrete soziale Praxen anzuwenden, geht der zwiespaeltigen Situation 'freier' Medienarbeit nicht aus dem Weg: Wenn die verfuegbare technische Hardware und, zu grossen Teilen, auch Software, wenn mediale Kanaele und die Bedingungen in der Arbeitswelt privatkapitalistischen Verwertungsinteressen unterworfen sind, dann kann eine 'unabhaengige' Praxis sich nur durch taktischen Gebrauch und Entzug, durch staendigen Positionswechsel und prekaere Offenheit ueber Wasser halten. [6] Dennoch aber laesst sich das Rhizom der Websites und Fanzines, der Parties und Strassenaktionen, der Netzkampagnen und kurzlebigen Labels und Clubs, der Graffiti, Live-Performances und Radios eindeutig als eine solche - wenn schon nicht post-, dann doch minoritaere mediale Praxis beschreiben, in der Kontrapunkte zum massenmedialen System gesetzt werden. [7] Das Internet eignet sich, zumindest in der Form, wie wir es heute noch kennen, hervorragend als Produktions- und Distributionsumgebung fuer minoritaere Medienarbeit. Preiswerter Zugang, die Verfuegbarkeit leistungsfaehiger Computer fuer multimediales Arbeiten, das Vorhandensein einer nicht-kommerziellen, von Kuenstlern und unabhaengigen Gruppen aufrecht erhaltenen technischen Infrastruktur, schaffen die Voraussetzung fuer die Entwicklung translokaler Kommunikations- und Handlungsstrukturen, in denen soziale, kulturelle und kuenstlerische Projekte realisiert werden koennen. Kaum zu ueberschaetzen ist beispielsweise die Bedeutung internationaler Mailinglisten fuer das Entstehen eines translokalen politischen Diskurses. Listen wie Nettime, Xchange, Rohrpost, Spectre, Faces oder die Sarai-Reader-List bewegen sich in einem disparaten Feld zwischen kulturellen, politischen, oekonomischen und dezidiert kuenstlerischen Themen, koppeln lokale an internationale und globale Kontexte und schaffen so einen diskursiven Handlungsraum, aus dem in den letzten Jahren nicht nur eine effektive Bewegung der Globalisierungskritiker und zahlreiche NGO, sondern auch vielfaeltige kuenstlerische Gruppenprojekte hervorgehen konnten. [8] 4. Software.Kooperation In zunehmendem Mass rueckt in den letzten Jahren die soziale Bedeutung der Technologie in den Blick. Aus der Spielwiese Internet mit ihren quasi-natuerlichen Charakteristika wird ein spannungsreiches politisches Handlungsfeld, in dem um jeden Namen, jede Lizenz, jede Zeile Computercode ein erbitterter Streit entbrennen kann, wie z.B. bei den Auseinandersetzungen um die Internetadressen der Kuenstlergruppe Etoy (1999) und der Zeitschrift Leonardo (2000-01), denen maechtige Gegner vergeblich ihre Namen streitig machen wollten. Auch die fundamentale Bedeutung von Software fuer die Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse wird stets deutlicher. E-Commerce, Online-Universitaeten und Internet-Wahlen muessen durch Software in eine funktionale Form gebracht werden, erhalten hierdurch aber auch wichtige Determinationen und Einschraenkungen, die einer kritischen Kontrolle zu unterziehen sind. Handlungs-, Bildungs- und Meinungsfreiheit muessen hier in der technologischen Umgebung neu entworfen werden. [9] Zugleich wird Software zu einem kuenstlerischen Ausdrucksmittel, das nicht mehr laenger rein dienende Funktion hat, um beispielsweise bestimmte Formen der Interaktion oder der audio-visuellen Gestaltung moeglich zu machen, sondern das als eigenstaendiges aesthetisches Material begriffen werden kann. Beispiele hierfuer sind etwa der Signwave Auto-Illustrator von Adrian Ward, ein eigensinniges Zeichenprogramm, oder Antoine Schmitts Vexation 1, eine minimalistische Studie ueber Regelgebung, Zufall und Freiheit. Der englische Theoretiker Matthew Fuller spricht dabei statt von Software-Kunst lieber von 'spekulativer Software', die "die Potenzialitaet allen Programmierens erforscht. Sie schafft transversale Verbindungen zwischen Daten, Maschinen und Netzwerken und untersucht sich selbst auf reflexive Weise als Software." [10] Diese Form der Kunst mit Software hat im Internet ihr groesstes Habitat, wie schon 1997 der Web Stalker von I/O/D demonstrierte, ein Programm das, anders als die bekannten Web-Browser, die interne Daten- und Linkstruktur des World Wide Web anschaulich macht. Eine Grundeigenschaft des Arbeitens in Netzwerken ist die Kooperation; nicht-kooperative Formen des Arbeitens sind in Netzwerken nicht moeglich. Dies wirkt sich auch bei der Software-basierten Kulturarbeit im Internet aus, wo von den Bulletin Board Systems der 1980er Jahre ueber die verteilten Software-Schmieden der Linux-Gemeinschaft bis hin zu den File-Sharing-Plattformen wie Napster oder Gnutella Langlebigkeit und Dynamik vor allem dort entwickelt werden kann, wo nicht nur Austausch sondern echte Kooperation und gemeinsame technische Nutzung und Weiterentwicklung stattfinden. Die Content-Management-Umgebung des Open Meta Archive (OMA) von Thomax Kaulmann ist auf diese Art der Kooperation angelegt, indem sie offenen Quellcode mit einer verteilten, vernetzten Serverstruktur und gemeinsamer Meta-Datenverwaltung koppelt. Auf aehnliche, jedoch staerker experimentell motivierte Weise entwickelte die Kuenstlergruppe Knowbotic Research in der Projektreihe IO_dencies (1996-99) Software-Schnittstellen im Internet, die fluide und heterogene Kooperationsumgebungen fuer die neuen Handlungs- und Diskursformen der Netzgesellschaft erkundeten. IO_dencies richtete sich dabei nicht nur auf die Darstellung von Inhalten, sondern bemuehte sich auch um die Unterstuetzung und Verstaerkung sozialer Prozesse. Die Programmierung ist hierbei unmittelbar in die Gestaltung und Umsetzung des kuenstlerischen Konzepts sowie in die sich entfaltende Arbeit im Netz eingebunden. Die entstehenden gesellschaftlichen Orte der Informationsgesellschaft muessen sowohl einer umfassenden politischen als auch einer kulturellen Kritik unterzogen werden. Waehrend Netzkunst die neuen sozialen und symbolischen Strukturen des Internet reflektiert, baut Software-Kunst auf das Basismaterial der digitalen Gesellschaft, das ultimative, eigentliche digitale Medium. 5. Konnektive Der Ruf nach universellem Zugang zum Internet - von 'Access for All' bis 'Internet fuer alle' - gehoert schon seit Jahren nicht mehr allein zum Argumentationsarsenal aufgeklaerter Netzaktivisten, sondern setzt sich auch als Wahlspruch derer durch, die an einer effektiven Nutzung des Netzes als kommerziellem Raum interessiert sind. Das Ziel derartiger Initiativen ist leider oftmals nicht so sehr wachsende Medienkompetenz und eine Verbreiterung demokratischer Potenziale der Informationsgesellschaft, sondern lediglich eine verstaerkte Nutzung von e-kommerziellen Dienstleistungen. Nicht zu unterschaetzen ist dabei der Grad, in dem das Angeschlossen-Sein sich kulturell und sozial auswirken kann. [11] Konnektivitaet ist nicht nur als technische Kategorie zu verstehen, die die Qualitaet der Verbindung zum Netz in UEbertragungsraten beschreibt, sondern auch als Gradmesser fuer die Intensitaet, mit der die Vernetzung zu einem individuellen und sozialen Mentalitaetswandel gefuehrt hat. Dies ist nicht medienskeptisch gemeint, sondern weist auf den Umstand hin, dass die Arbeit in vernetzten digitalen Umgebungen tatsaechlich ein veraendertes Verstaendnis von territorialen und sozialen Ordnungen mit sich bringt. Instantane und translokale Kommunikations- und Kooperationsmoeglichkeiten entwerfen ein digitales Territorium, in dem Information, Mitteilung und soziale Beziehungen verschmelzen. Post-mediale Operationen wie vernetzte Redaktionsarbeit, Internet-basierte Live-Events und Performances mit Video- und Audio-Streams oder die Entwicklung von Software in Kooperationsnetzwerken erzeugen die Erfahrung einer konnektiven Aggregation, deren Produktion nicht einem subjektiven oder kollektiven Ausdruckswillen, sondern der prozessualen, autopoietischen Bewegung des Konnektivs entspringt. [12] Anders als das Kollektiv, das seine Handlungen an einem gemeinsamen ideologischen Prinzip oder Ziel ausrichtet, ist das Konnektiv eine heterogene maschinische Anordnung, die dynamisch und rekursiv ein Netzwerk von Handelnden verknuepft. Konnektive Handlungsfelder stehen im Zeichen einer maschinischen AEsthetik, die nicht auf dem intentionalen Handeln einzelner Kuenstler oder auf der Konstitution von Beziehungen beruht, sondern auf der Verschaltung vielfaeltiger Maschinen. Der Aktionshorizont der maschinischen AEsthetik ist bestimmt durch die Kooperation autopoietischer Elemente innerhalb konnektiver Systeme. In Bezug auf das Internet heisst dies: Netzwerk-basierte, heterarchisch verteilte Dispositive mit wechselnden, im Netzwerk generierten temporaeren Kopplungen, deren Bedeutungsproduktion nicht teleologisch oder projektiv ist, sondern maschinisch und trajektiv. [13] Das Grundprinzip konnektiver Anordnungen wird beispielsweise in den kuenstlerischen Arbeiten von Seiko Mikami, Ulrike Gabriel oder Nikolas Anatol Baginsky deutlich. Es handelt sich hierbei um Rueckkopplungssysteme, in denen Wahrnehmungen, Handlungen und technische Funktionssysteme miteinander verschaltet werden und zu stets neuen, vom Nutzer oder Teilnehmer nur parziell zu beeinflussenden Ereignissen und Transformationen fuehren. Explizit beschaeftigt sich seit einigen Jahren die Gruppe Knowbotic Research mit der Entwicklung konnektiver Schnittstellen, die die Moeglichkeiten und Bedingungen vernetzten Handelns und Kooperierens ausloten. [14] In der bereits erwaehnten Projektreihe IO_dencies stand die maschinische Verkopplung singulaerer Ereignisse und Interessen im Vordergrund. Das Projekt Connective Force Attack (2000) dagegen bot eine experimentelle Anordnung fuer Eingriffe in den medialen oeffentlichen Raum, die auf dem Prinzip des Hackens beruhte. Die Arbeit Anonymous Muttering (1996) schliesslich stellte die vielleicht radikalste Exposition des Prinzips des Konnektiven dar: Die Musik von DJ-Ereignissen wurde uebertragen, digitalisiert, von einem Computer in granulare Einheiten zerhackt und nach Wahrscheinlichkeitsparametern wieder zu einer 'verfilzten' Klangflaeche zusammengesetzt. In einer Installation mit zwei Kreisen aus Stroboskoplichtern und einer Lautsprecherschleife konnte durch Verbiegen, Drehen und Falten einer Silikon-Membran der Datendurchfluss und damit der Klangfilz moduliert werden. Ein aehnliches, netzartiges JAVA-Interface befand sich auf dem Website des Projektes, sodass auch Internetbenutzer in Echtzeit an der Bearbeitung desselben Klangereignisses teilnehmen konnten. Das Resultat war ueber das Netz mit Hilfe von RealAudio-Software, in der Installation ueber die Lautsprecheranlage unmittelbar zu verfolgen. Die produktive Spannung zwischen lokalen und trans-lokalen Interventionsmoeglichkeiten, zwischen menschlichen und technischen Akteuren wurde in der Licht- und Klanginstallation als irritierende Oszillation zwischen Ordnung und schierer perzeptiver, entsubjektivierender UEberwaeltigung erfahrbar. 6. Resonanz Fuer das Online-Dasein ist aktive Teilnahme nicht Option, sondern notwendige Bedingung. Die konnektiven Effekte der Netzwerke produzieren eine medien-oekologische Umgebung, die Handlungen und Subjektivierungsstrukturen massgeblich mit bestimmen. Netzsubjektivitaet entsteht durch Rekursivitaet als Resonanz im konnektiven Handlungsfeld. Daher erlangen kuenstlerische Arbeiten, die die Netzwerke als materielle, technische oder semiotische Resonanzraeume behandeln, besondere Relevanz. Oftmals behalten sie rein performativen oder prozesshaften Charakter und sind damit auch nur durch eine ko-praesente Teilnahme zu erfahren, was zugleich ihren mythologischen Status erhoehen und ihre Vermittelbarkeit erschweren kann. Die Installation POLAR von Marko Peljhan und Carsten Nicolai war erstmals 2000 beim Canon ArtLab in Tokio zu sehen. POLAR stellt eine komplexe Schnittstelle zum Netzwerk als einem quasi-animierten kybernetischen Wissensorganismus dar, dessen Datenstroeme, Intensitaetszonen und Informationsstrukturen durch verschiedene visuelle und akustische Module dargestellt und zugleich interaktiv bespielbar gemacht werden. Anders als in der Installation Dialogue with the Knowbotic South, in der Knowbotic Research 1995 die technische Verarbeitung und Darstellung von Informationen in verschiedenen Wissensdispositiven thematisiert hatten, wird in POLAR die technische Infrastruktur des Netzes selber zum aesthetischen Untersuchungsgegenstand. In Anlehnung an den intelligenten Ozean in Andrej Tarkovskis Film Solaris behandelt POLAR die Fiktion einer auf Komplexitaet und Unbegrenztheit beruhenden technoiden Eigen-Intelligenz, in die dem Besucher der Installation parzielle Einblicke geboten werden koennen. Eine weitaus direktere Konfrontation mit der physischen Wirksamkeit von Netzwerken als vernetzten Datenrealitaeten stellt das Projekt Sphere von Ulrike Gabriel dar. Sphere beruht auf der Konstruktion eines Datenkoerpers, der als abstrakte Darstellung eines Internet-Nutzers veraeusserlicht und mit dem als eine Art Telebombe das Netzterminal eines anderen Nutzers abgeschossen werden kann. Das Trajekt dieses Projektils durchquert den auf geographische Koordinaten zurueckuebertragenen IP-Raum des Internets auf einem physikalisch exakt berechnetem Orbit und loest Turbulenzen aus, die von anderen auf der Route liegenden Rechnern registriert werden, bevor die Datenkugel mit Wucht am Ziel einschlaegt und dort zu temporaeren Stoerungen des elektrischen Feldes auf Bildschirmen, in Projektionen und Lichtquellen fuehrt. Wie in anderen Arbeiten von Ulrike Gabriel findet hier eine enge, gewaltsame Verschraenkung von Technologie und Wahrnehmung, von kybernetischem System und physischem Erleben statt. Das Netzwerk ist der Ort, an dem digitale Praesenz sich konstituiert, medialisiert - und verzehrt. AEhnlich insistierend befasst sich der Musiker Atau Tanaka mit der Verknuepfung von Aktion, Ausdruck und technischer Infrastruktur. In zahlreichen Performances hat er gemeinsam mit Edwin van der Heide und Zbigniev Karkowski unter dem Namen Sensorband die kreativen Potenziale vernetzter Handlungsaggregate untersucht und hierbei nicht zuletzt den prekaeren Faktor der 'Echtzeit' in Netzwerk-basierten, translokalen Ereignissen problematisiert. Echtzeit ist die technische UEberspielung einer nicht einloesbaren Gleichzeitigkeit, der man sich in traegen, von Verzoegerungen gepraegten Systemen nicht entziehen kann. Tanakas Installation Global String (2000) beschaeftigt sich explizit mit dem Phaenomen der Materialitaet und Resonanz in Netzwerkprozessen, indem sie das Internet als virtuellen Resonanzkoerper einer Stahlsaite nutzt, deren Enden an zwei unterschiedlichen Orten durch das Netz miteinander verbunden sind. Der entstehende Klang ist unmittelbares Resultat der Modulationen, die der 'Klangkoerper' Internet mit seinen wechselnden Routen und UEbertragungsgeschwindigkeiten als Schwingungsparameter erzeugt. 7. Netzwerk Cyborgs ... Die menschliche Entwicklung ist auf das Engste mit den technologischen Werkzeugen und Umgebungen verknuepft, die der Mensch sich schafft. Damit sind wir auch in einen lang andauernden Prozess des Wandels und Werdens humanistischer und anti-humanistischer Paradigmen eingebunden, des Technologie-Werdens und des Maschine-Werdens. Der Cyborg ist eine Konstruktion, der wir uns zwischen Koerper- und Medienprothesen, Biotechnologie und elektronischer Kultur immer mehr verwandt fuehlen muessen, ob man dies nun vitalistisch oder, im Sinne Donna Haraways, spaetaufklaererisch lesen will.[15] Zu diesem Cyborg-Werden, in dem nicht nur japanische Kids immer weiter mit ihren Kommunikationsgadgets verschmelzen, gehoert ohne Zweifel auch das Online-Sein als Zustand der potentiellen Konnektivitaet, der erweiterten, virtuellen Existenz im Netz. Online-Sein ist das Bewusstsein der medialisierten Verbundenheit mit aehnlich virtuell und wirksam operierenden Netzakteuren in Echtzeit. In Internet-Chats, auf Mailinglisten und in Instant Messaging-Zirkeln sowie in kollaborativen Online-Umgebungen ist Online-Sein Wahrnehmungs-, Erlebnis- und Handlungsbedingung. Es greift tief in die Prozesse der Subjektivierung ein und erzeugt - nicht zuletzt durch die verstaerkte Kopplung von Textdaten-, Stimm- und Bildkommunikation - soziale Handlungsraeume, die die Protokolle der gesellschaftlichen Interaktion in Bezug auf Intimitaet, Arbeit, Ausbildung, Politik, usw., grundlegend veraendern. Durch neuere Software-Programme fuer vernetzte Kooperation entstehen konnektive Gruppen-Subjekte, die durch verteilte, translokale und poly-chrone Handlungsformen charakterisiert sind. Bei ihrer Bewertung ist weder ungeteilter Optimismus, noch strenger Pessimismus am Platz, denn diese Konnektive stehen in einer langen Tradition distributiver, medial unterstuetzter Handlungsstrukturen. Ein Ausloten ihrer aesthetischen wie der sozialen Potenziale ist unumgaenglich. [16] Zahlreiche kuenstlerische Projekte im Netz, die in diese Richtung arbeiten, lassen sich kaum anders beobachten und verstehen als durch aktive Teilnahme, muehsame Lektuere obskurer Listenkommunikation und das Erlernen neuer Konventionen und Handlungsmuster. Was man entdeckt ist eine eigensinnige, maschinische Form der Verbundenheit und Gemeinsamkeit, an denen manche sich ohne jeden Sinn fuer soziale Verantwortung beteiligen. Solch lose Konnektive koennen immer wieder an oder ueber den Rand der Selbstzerstoerung gedraengt werden, um kurz darauf in anderer Form und an einem anderen 'Ort' im Netzwerk wieder aufzutauchen, mit neuer Energie und unter neuem Namen. Kontinuierliche Permutation, in der die Bedeutung des Maschine-Werdens, des Anders-Werdens, des Konnektiv-Werdens oder des Oeffentlich-Werdens stets neu bestimmt werden muss. Nur in wenigen, isolierten Nischen kann das Netz heute noch als Freiraum erlebt werden. Stattdessen richten viele kuenstlerische Ansaetze sich auf das Antasten und Ueberschreiten von Grenzen und auf das Ausloten von Spielraeumen, in denen sich entweder eine kritische Praxis ansiedeln kann, oder aber die Brueche und Reibungsflaechen des techno-sozialen Systems erfahrbar gemacht werden. Selten handelt es sich um langfristige und strategische Bewegungen. Viel eher arbeiten die beschriebenen kuenstlerischen Projekte im Bereich des Spekulativen, des Reflexiven und des Taktischen. Gelegentlich erlangen sie, wie im Falle des Netzaktivismus der Gruppe RTMark, spektakulaere Aufmerksamkeit. Haeufiger aber bietet die Kunstpraxis im Internet experimentelle Handlungsmodelle, die das Aufknacken eingefahrener Strukturen sowie die Entwicklung neuer, konnektiver Aktionsfelder und Methoden vorstellbar machen. Fussnoten 1. M. Hardt, A. Negri: Empire. Cambridge/MA: Harvard University Press, 2000. 2. Eine umfassende Uebersicht der Internetkunst in den 1990er Jahren bot die Ausstellung net_condition am ZKM Karlsruhe (1999-2000; Kat. hrsg. v. T. Druckrey u. P. Weibel, MIT Press, 2000). Eine wichtige Diskussion zu den theoretischen Konzepten netzbasierter Kunstpraxis wurde 1998 im Eyebeam/Blast Online-Forum gefuehrt, das auch als Buchpublikation vorliegt. (Interaction: Artistic Practice in the Network. Hrsg. v. Amy Scholder. New York: DAP, 2001) Siehe auch: Arjen Mulder, Maaike Post: Incommunicative Networks. In: dies.: Book for the Electronic Arts. Amsterdam/Rotterdam: De Balie/V2_ Organisation, 2000 3. Eine Uebersicht bieten Tilman Baumgaertel in net.art. Materialien zur Netzkunst. Nuernberg: Verlag der modernen Kunst, 1999, und net.art 2.0, Nuernberg 2001, und Verena Kuni (Hrsg.): netz.kunst, Jahrbuch '98-'99. Nuernberg: Institut fuer moderne Kunst, 1999. - In Deutschland wurde erstmals 1994 bei der Medienbiennale Leipzig in groesserem Masse Netzkunst gezeigt. Das InterCommunication Center in Tokio zeigte 1995 die Ausstellung The Museum Inside the Network, die dem Telefon- und Netzwerkprojekt Museum inside the Telephone Network (1992) folgte. Die ars electronica in Linz widmete sich ebenfalls 1995 erstmals umfassend dem Internet. 4. Vgl. Andreas Broeckmann, Susanne Jaschko (Hg.): DIY Media - Kunst und Digitale Medien. Berlin: transmediale/BKV, 2001. 5. Felix Guattari: Die drei Oekologien. (1989) Wien: Passagen Verlag, 1994, S. 64. 6. Howard Slater: "Sovereign & vague." Nettime, 26 Nov 1998 [www.nettime.org]; vgl. ders.: "An Imaginary Address." In: Broeckmann/Jaschko, 2001, und "Post-Media Operators." In: Interface 5: Politik der Maschine. Hamburg, 2002 (in Vorbereitung). 7. Vgl. Andreas Broeckmann: "Minor Media, Heterogenic Machines." In: E-Lab (eds): Acoustic Space 2. Riga, 1999, S.78-82 (zuerst in: Oosterling/Thissen (eds): Chaos ex machina. Het ecosofisch werk van Félix Guattari op de kaart gezet. Rotterdam: CFK, 1998) Translokal bedeutet hierbei, im Gegensatz zur homogenisierenden Globalisierung, die kommunikative und effektive Kopplung unterschiedlicher, oft heterogener lokaler Situationen, die in ihrer Differenz erhalten bleiben. 8. Zu denken ist an Projekte wie Hybrid Workspace (Kassel, 1997), Polar Circuit (Tornio, Finland, 1998-2001), Virtual Revolutions (1998), TEMP (Helsinki, 1999). Die 'Nachbarschaft' dieser Listen ist verlinkt auf: www.nettime.org. 9. Siehe hierzu beispielsweise das Kapitel zur Software-Politik in: Broeckmann/Jaschko, 2001, und die Online-Dokumentationen zu den Konferenzen Wizards of OS (Berlin, 1999 und 2001, www.wizards-of-os.org)und CODE (Cambridge/UK, 2001, Collaboration and Ownership in the Digital Economy, www.cl.cam.ac.uk/CODE). 10. Matthew Fuller (private Korrespondenz, 2001) 11. Vgl A. Broeckmann: "Are you online? Presence and Participation in Network Art." In: cat. Ars Electronica Festival, Linz/A 1998 (repr. in: T. Druckrey (ed.): Facing the Future. Cambridge/MA: MIT Press, 1999) 12. Zu den Begriffen der Autopoiesis und des Maschinischen siehe Félix Guattari: "UEber Maschinen." In: H. Schmidgen (ed): AEsthetik und Maschinismus. Texte zu und von Felix Guattari. Berlin: Merve, 1995. 13. Waehrend im 'Projekt' ein Ziel, eine Ankunft mitgedacht ist, ist das 'Trajekt' die Fluchtlinie einer potenziell unendlichen Bewegung; vgl. Paul Virilio: "Trajektivitaet und Transversalitaet." In: H. Schmidgen (ed), 1995. 14. Vgl. A. Broeckmann: "Wirksamkeit und konnektives Handeln. Zu den translokalen Konstruktionen von Knowbotic Research + cF." In: Heute ist Morgen. Ueber die Zukunft von Erfahrung und Konstruktion (M. Erlhoff, H. U. Reck, eds.) Bundeskunsthalle Bonn, 2000. 15. Vgl. Donna Haraway: "A Cyborg Manifesto." In Simians, Cyborgs, and Women. London: Free Ass. Books, 1991; N. Katherine Hayles: How We Became Posthuman, 1999. 16. Eine Reihe solcher Online-Instrumente und -Umgebungen beschreibt Golo Foellmer in: "Weiche Musik", 2001, URL: crossfade.walkerart.org Bookmarks div. Links zur Netzkunst - http://www.thing.de/tilman/links.html The Thing - http://www.thing.net Public Netbase - http://www.t0.or.at Paul Garrin: Name.Space - http://name-space.com Marko Peljhan: makrolab - http://makrolab.ljudmila.org Etoy - http://www.etoy.com Leonardo - http://mitpress.mit.edu/Leonardo Adrian Ward/Signwave: Auto-Illustrator - http://www.signwave.co.uk Antoine Schmitt: Vexation 1 - http://www.gratin.org/as/ I/O/D: Web Stalker - http://bak.spc.org/iod Thomax Kaulmann: Open Meta Archive - http://oma.orang.org Knowbotic Research - http://www.krcf.org Seiko Mikami - http://bionet_org.tripod.com Nicolas Anatol Baginsky - http://www.provi.de/~nab Marko Pejhan/Carsten Nicolai: POLAR - http://www.canon.co.jp/cast/artlab/artlab10/ Ulrike Gabriel: Sphere - http://www.codelab-berlin.de Atau Tanaka - http://www.sensorband.com/atau/ RTMark - http://www.rtmark.com Berlin, 15. Oktober 2001 (Dank an H.D. Huber fuer konstruktive Kritik.) ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste fuer Medien- und Netzkultur Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/