rosa von suess on Tue, 3 Dec 2002 21:05:03 +0100 (CET)


[Date Prev] [Date Next] [Thread Prev] [Thread Next] [Date Index] [Thread Index]

[rohrpost] sehen sucht /museumsquartier wien


programminformation:


Sehen sucht 
medienkunstarchiv wien

9., 10. und 11. Dezember 2002, ab 19 Uhr
Museumsquartier Wien

Programm:

Judith Hopf (D): “hey produktion³, Berlin 2001, 7 min

Judith Hopf (D)/Stephan Geene (D): “Bartleby³, Berlin 1998, 21 min

Michaela Schweiger (D): “The Passenger³, Berlin, 2000, 30 min

David Zink YI(PE/D): “Ahum³, 1999, 2 min; “Deine Hände³, 1999, 2 min

Judith Fischer (A): “ff.³ Audioinstallation, Berlin 2002




Die Videoarbeiten, die im Rahmen des Kinos der Kälte vom Medienkunstarchiv
Wien gezeigt werden, sind Produktionen von KünstlerInnen, die sich mit Per-
und Rezeptionen von Gesehenen, der kulturellen Produktion von Identität und
Bildproduktion auseinandersetzen. Die Arbeiten befragen filmbildliche
Darstellung empirisch und stellen bestimmte Fragen nach dem : Wie schauen
wir? Wer schaut mit? Wo generiert sich Bedeutung?

Judith Hopf und Stephan Geene wählen in “Bartleby³das Fernsehen als
Instrument der Konstruktion des Phänomens Arbeitsverweigerung und
dechiffrieren den “modernen³ Umgang mit gesellschaftlichen
Problemstellungen. Das Verfahren dabei ist ein Doppeltes: die Dokumentation
der Probleme in der Arbeitswelt und in der Art der Darstellung von
Geschehenen im TV. Fernsehen arbeitet an der Bedeutungsevozierung, will
vordergründig doch nur berichten.
So gibt es natürlich eine Chefin in der Designfirma, bei der das Phänomen,
das es zu untersuchen gilt, evident wird. Obleich die Firma modern geprägt
ist: flache Hirarchien, Teamwork, fliessende Arbeitszeiten, ist diese
Diskussion nur mit den Bossen zu führen. So findet mit dieser Chefin auch
das TV Interview statt, das uns den Sachverhalt vermittelt: der Angestellte
Bartleby bringt die Produktion der Firma zum Stillstand, da er seine
Tätigkeit mit dem Satz ³I would prefer not to³ schlichtweg negiert.
Unterbrochen durch Einspielungen aus dem Firmenalltag, die der Beweisführung
dienen, sprechen die Interviewpartner quasi live von einer wichtigen Sache,
die es zu kontrollieren gilt.
Wie in Herman Melvilles geschriebener Erzählung, die sich als Parabel auf
den bürokratischen Kapitalismus US-amerikanischer Prägung lesen lässt,
verlagert sich die Handlung auf Details von genauer Beschreibung des
Firmenalltags, hin zur Verwirrung, die Bartlebys Auftauchen auslöst.
Bartleby Formel “I would prefer not to³, bringt das Kontrollsystem der Firma
ins Wanken, die Darstellung im TV suggeriert, allein über das Sprechen zur
Problematik, an deren Lösung mitzuarbeiten.

"Hey Produktion" von Judith Hopf thematisiert gesellschaftliche Strukturen,
die an eine Produktivität materielle Werte knüpfen. Der Film untersucht die
Bildcodes, als absolute Vorstellungen und die in diese Vorstellung
eingeschriebenen Wertevorstellungen von Funktion und sozialem Gebrauch, die
via die TV und Film “(mit/)übertagen³ werden.
Wahrnehmung als eine Frage der sozialen Eingebundenheit und der
individuellen Erfahrung hat verschiedene Nenner. Durch Verschiebung von Raum
und Zeitachsen bringt Hopf Irritation und Störfelder ins “gewöhnliche³
Sehen. Die Protagonistin, die in einer Parklandschaft ihre Umgebung
beobachtet, ist plözlich Teil dieser Verschiebung, in der beispielsweise
Jogger meteorsmässig aufleuchten, eine Parkskulptur einen Schritt zur Seite
macht und sie selbst in einer Wolke verschwindet. In einer Parallelaktion
schliesst sie sich einer Gruppe an, die zu dem (von Hopf komponierten) Song
"Hey Produktion" einen musical-artigen Tanz aufführen. Schliesslich endet
Hopfs Parabel auf die Erwartungen an unsere Bilderwelten auf einen
schwankenden Boden natürlich unvermutet: die Gruppe verschwindet mit der
Protagonistin komentarlos.

Die Videoarbeit “The Passenger³ von Michaela Schweiger versammelt
Erzählweisen verschiedener MigrantInnen über einen Film von Antonioni
(Deutscher Verleihtitel: “Beruf: Reporter³). Antoninis Film erzählt darüber,
wie die Veränderung eines Standpunktes, die Sichtweise auf politische
Ereignisse, aber auch auf Personen und Objekte verändert.
In einem grünen Innenhof, einem also nicht ganz privaten und auch nicht ganz
öffentlichen Ort, beschreiben fünf Protagonisten die Handlung des Films. In
Antoninis Film wird wenig gesprochen, umso mehr werden in der Erzählung über
den Film, Bilder beschrieben. Die einzelnen Erzählungen und Beschreibungen
hat Schweiger der zeitlichen Abfolge des Filmes angepasst, also angedeutet,
aus Bruchstücken unterschiedlichster Blickwinkel, wieder einen linearen
Erzählstrang formulieren zu können. Haben wir den Film Antoninis gesehen,
erkennen wir einzelne Details, erinnern wir uns an unsere eigene Wahrnehmung
des Films. Haben wir den Fim nicht gesehen, könnten wir aufgrund der
sprachlichen Ausdrucksweise und vielleicht auch aufgrund der Hautfarbe der
Erzählenden annehmen, dass wir den Film ohnehin anders rezipiert hätten. Wir
könnten davon ausgehen, dass die kulturellen Unterschiede eben eine andere
Rezeption bedingen weil eben, wie Flusser so schön sagt: jeder Mensch
bedingt ist. Natürlich - das löst sich nicht ein. Und genau darum geht es in
Schweiger¹s Fragestellung: wie konstruiert sich Identität jenseits der
kulturellen Zuschreibung. Deswegen ist es auch nicht von Belang, wo die
Erzählenden geboren sind; viele erzählen eine Geschichte, bei der wir
ohnehin nie ³dabei³ waren. Sekundärinformation. Wir fragen ständig unsere
Speicher ab und kaum klinken wir uns in die Beschreibung eines Sprechers
ein, erzählt ein anderer/eine andere weiter und wir fragen uns
beispielsweise: “WELCHES AUTO!?³
Zum Schluss waren wir dabei, als über etwas intensiv gesprochen wurde. Das
ist oft so. Und oft ist es so, dass nachher angenommen wird: dabei gewesen
zu sein. In “The Passenger³ von Michaela Schweiger sind und bleiben wir die
Passanten, die wir immer sind.


Der Peruaner David Zink Yi untersucht Identität als kulturelles Handeln. Mit
“Ahum³ und “Deine Hände³ zeigt er zwei Produktionen, in denen er Sprechen
und Schreiben einer scheinbaren Gleichzeitigkeit unterwirft, die emotionales
Handeln untersucht. Eine Hand schreibt einem Stift Laute auf, während
dieselben Laute hörbar sind. Ob hier synchron vorgegangen wird, ob die
Sprache die Hand diktiert, oder das Geschriebene die Laute vorgibt ist die
Frage, die der Performer nicht beantwortet. Der Synchronismus von Sprache
und Schreiben als performte Emotionalität ist sein Ergebnis, mit dem er
alles Sehen befragt. In “Deine Hände³ diktiert Zink Handlungsanweisungen von
verschiedenen Berührungen in die Tastatur einer Schreibmaschine und
übersetzt Handlung in Sprache. Der imaginäre Körper wird von oben bis unten
berührt, in der Videoarbeit sichtbar ist lediglich die Produktion des
Textes, der die Handlung beschreibt. Das Bemühen untersucht: was war vorher?
Wird hier eine Handlung beschrieben, sprachlich rekonstuiert oder erst durch
die Sprache darüber imaginiert. War vorher das Bild oder entsteht es durch
die Vorstellung?

Die Audioinstallation ³ff.² von Judith Fischer untersucht und
versammelt bruchstückhaft verbale Betrachtungen zum
Stummfilm ³Nanook of the North² von Robert Flaherty
(1921), einem der frühen Beispiele des Genres
Dokumentarfilm.  In diesem ³Kino der Kälte² wird u.a.
der Bau eines Iglus zum symptomatischen Akt zwischen
filmischer Dokumentation und Fiktion. Die Kamera
beginnt, die ihr gemaesse Szenerie und ihre ³Natur der
Maschine² zu entwickeln und gleichzeitig, die
Artifzialität und Eigendynamik ihrer Apparatur zu
kaschieren.  Das Subjekt / der Eskimo Nanook
konfroniert in einer Szene mit seinem Blick noch
direkt das Auge der Kamera, um die auf ihn gerichtete
aufzeichnende Wahrnehmungsapparatur zu beobachten.
 
“all art ­ he said ­ said ms. robert flaherty to
robert gardner in a tv interview­  all art ­ he said -
 is a kind of exploring.³ (jf)

(Rosa von Suess)


Programmauswahl und Texte von Rosa von Suess.
Dank an Isabella Kossina (Berlin) , Martin Ebner (Berlin), Romana
Scheffknecht (Wien), Patricia Grzonka (Wien).

www.mka.at


Kino der Kälte (The cold cinema)


Sehen sucht 
Media Art Archive, Vienna


Programme compiled by Rosa von Suess.
With thanks to Isabella Kossina (Berlin),Martin Ebner (Berlin), Romana
Scheffknecht (Vienna), Patricia Grzonka (Vienna).



Programme:

Judith Hopf (D): “hey produktion³, Berlin 2001, 7 min
Judith Hopf (D)/Stephan Geene (D): “Bartleby³, Berlin 1998, 21 min
Michaela Schweiger (D): “The Passenger³, Berlin, 2000, 30 min
David Zink YI(PE/D): “Ahum³, 1999, 2 min; “Deine Hände³, 1999, 2 min

The video works that will be shown on the 9 ­ 11 December as part of the
MKA¹s ³The cold cinema² are productions from artists who try to separate the
perception and reception of viewing, to separate the cultural production of
identity and the production of pictures. The works empirically question the
way film images are depicted and specifically ask: How do we observe? Who
observes with us? Where does meaning come from?

Judith Hopf and Stephan Geene in “Bartleby³ selected television as the
instrument to construct the phenomena of refusal to work and to decipher the
³modern² ways of dealing with social problems. It is a two fold process: it
documents both the problems in the working world and in the way events are
portrayed on TV. Television works by evoking meaning and only wants to
report on the superficialities.
A manager in a design company discovers that there is a problem that needs
to be investigated. Although the company possesses all the attributes of a
modern business, i.e. level heirachies, teamwork and glide time, only the
bosses take part in this discussion. The TV interview is also carried out
with this manager and it provides the facts of the case: with the statement
³I would prefer not to² the employee Bartleby brought production to a halt
by refusing to work.
Supporting the film¹s reasoning, the interviewee is shown ³in real life²
discussing important issues which need attention, however, she is
interrupted by scenes of everyday business activity,
As in Herman Melville¹s written story, which can be read as a parable for
the US-American form of bureaucratic capitalism, it shifts the action, in
addition to the confusion triggered by Bartleby¹s appearance, onto a
detailed description  of the company¹s everyday life.
Bartleby¹s phrase ³I would prefer not to², the TV depiction suggests, shakes
the company¹s control system simply through a discussion of the problems and
work on their solutions.


"Hey Produktion" by Judith Hopf discusses social structures that are tied to
the value of material productivity. The film investigates picture codes that
will be transferred and transmitted, via TV and film, as absolute ideas. It
also investigates the ideas of value in function and social use that are
written into this idea.
Perception as a question of social integration and individual experience has
various denominators. Through a shift in the time and space axis, Hopf
causes irritation and areas of disruption in the ³usual² vision. The
protagonist observing her surroundings in a parkland suddenly become part of
this shift. For example, the jogger glowing like a meteor, a park sculpture
that takes a step to the side and her own disappearance into a cloud. In a
parallel action she attaches herself to a group performing a musical-like
dance to a song composed by Hopf, ³Hey Produktion². Hopf¹s parable on the
expectations in our world of pictures on fluctuating ground ends
unexpectedly: the group disappears with the protagonist speechless.

The video work “The Passenger³ by Michaela Schweiger collects the thoughts
of various migrants to a film by Antonioni (German title: ³Occupation:
Reporter). Antonioni¹s film explains how the change of a viewpoint, changes
not only the approach to political events but also to people and objects.
In a green inner courtyard, not exactly private but neither public, five
protagonists describe the action in the film. Much more is spoken in the
stories about the film and the descriptions of its pictures than Antonioni¹s
original, where there is little dialogue. Schweiger matches individual
stories and descriptions to the film in sequential order and insinuates,
from fragments of different perspectives, that a linear story thread can
once again be formulated.
If we have already seen Antonioni¹s film we will recognise the separate
details and will remember our own perception of the film. If we haven¹t, we
could imagine that we still would have absorbed the film in a similar way,
due to the linguistic expressions and perhaps the skin colour of those
telling the story. We can assume that cultural differences will cause
different responses because, as Flusser so nicely puts it ­ every person is
conditioned. Of course, this cannot be changed. And this is exactly the
question Schweiger poses: how does one construct an identity on the other
side of their origins and cultural attributes. For this reason it is not
important where the storytellers come from; many stories were told that we
could never have been ³part² of anyhow. Secondary information. We constantly
test our memory, we have barely begun to engage with a description from one
speaker when someone else continues the story and we ask ourselves, for
example, ³WHICH CAR?!² At the end we feel like we have been spoken to
intensively about something. And often this is true. It is also often the
case that afterwards we feel as if we were there. In ³The Passenger² by
Michaela Schweiger we are and remain passers-by, as we always are.

The Peruvian David Zink Yi investigates identity as cultural action. With
“Ahum³ and “Deine Hände³ (³Your hands²) he presents two productions which
investigate emotional actions. In them he subjects speaking and writing to
an apparent synchronism. A hand writes down a sound with a pen, at the same
time the sound can be heard. Is it a synchronous action? Is the voice
dictating to the hand or is the writer determining the sound? These
questions are not answered by the performer. The synchronism between
language and writing as a performed emotionality is his achievement, one
with which he questions all that can be seen. In ³Deine Hände² Zink dictated
action instructions for various movements on a typewriter keyboard and
translated actions into language. The imaginary body was moved from top to
bottom and in the video work only the production of the text that describes
the action is visible. The endeavour investigates what was before? Was an
action described, reconstituted through speech or just imagined through
language? Did the picture exist before or was it created only through the
performance? 

³ff.² by Judith Fischer is an audioinstallation which fragmentarily
analyses and collects  verbal commentaries on one of the early examples of
the genre of documentary cinema ­ the silent film ³Nanook of the North² by
Robert Flaherty (1921). In this ³Cinema of the Cold² the construction of a
snowhouse or igloo is in itself a symptomatic act inbetween cinematic
documentary and fiction. The camera starts developing the appropriate
scenery it needs and the inherent ³nature of the machine² while
simultaneously concealing the artificiality and self-dynamics of its
apparatus. The subject / the eskimo Nanook is captured in one scene meeting
directly the eye of the camera, to observe the recording apparatus which is
focussed on him. 
“all art ­ he said ­ said ms. robert flaherty to robert gardner in a tv
interview­  all art ­ he said -is a kind of exploring.³

(Rosa von Suess)












-------------------------------------------------------
rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze
Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/
Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/