Mirjam Struppek on Fri, 6 Dec 2002 13:30:03 +0100 (CET)


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[rohrpost] Videostill "between the eyes"


Ein kleiner Nachtrag:

Veränderte Öffnungszeiten:
Mo-Sa: 2pm - 7pm
Sa, 7.12.02: 2pm – 21pm

SUSANNE SCHURICHT (www.sushu.de)
"between the eyes"
30. Nov. – 30. Dez. 2002
Kurator: Wolf Guenter Thiel

play - gallery for still and motion pictures
hannoversche straße1 | 10117 berlin | t +49-30-275
82111 
www.pushthebuttonplay.com 



Und zum Inhalt:

An einem Sommer-Wochenende auf der Terrasse des Hauses
der Kulturen der Welt: Vier Kameras; im Blickpunkt ist
ein Ausschnitt der Spree fixiert, im Hintergrund
einbetonierter Uferrand. Drei Stand-Kameras halten das
kontinuierliche Durchfahren der Schiffe fest. Die
vierte Kamera wandert ein Stück mit den Passagieren
oder den Spaziergängern mit. Parallel bat die
Künstlerin vorbeilaufende Passanten, Fragen zu
stellen. Ein Ausschnitt aus einem Tag. 

Die Künstlerin legt ihre Audio-Video-Installation in
Anlehnung an Umberto Eco als “Offenes Kunstwerk" an.
Eine uneingeschränkte Sicht auf eine vermeintlich
unbekannte Landschaftsschilderung, die den Betrachter
einlädt, die “terra incognita" subjektiv und
persönlich assoziativ zu vereinnahmen. 
Die Anordnung der vier Filme und der acht Tonspuren
fordern von Anfang an einen offenen Diskurs.
Verschiedene Vorgänge laufen gleichzeitig ab, die auch
beim oftmaligen Sehen und Hören immer wieder neu und
anders ausfallen, wie bei einem Vexierbild, dessen
Ebenen je nach Blickwinkel hin- und herspringen. So
entwickelt der Betrachter, entsprechend seinem 
Betrachtungserlebnis, eine persönliche
Vervollständigung des Werkes.

Kein Deutungsansatz kann inhaltliche Endgültigkeit
beanspruchen. Für mich bestand das Faszinierende der
Arbeit in der aktuellen Brisanz von
Flussbegradigungen. Diese Trassierungen führen zu
einer erheblichen Erhöhung der Fließgeschwindigkeit
und so zu den Katastrophen an Oder, Rhein oder Elbe.
Überträgt man diese Beobachtung – mit dem Hochmut
eines Sophisten - auf die wichtigen gesellschaftlichen
Herausforderungen und ihre politischen Diskurse, so
erkennt man eine offensichtliche Parallelität. Die
Determinierung von Diskursen, die Trassierung von
politischen Lösungsmodellen führt automatisch zu einer
mittelfristigen Erhöhung des Problemrisikos. Alles ist
hierbei vermeintlich im Lösungsprozess begriffen,
solange es nicht zu einer unkalkulierten Veränderung
der Rahmenbedingungen kommt, wie bei der Elbflut. Auch
Meinungsforschungsinstitute tragen hierzu in ihrer
quasi demokratisch und fragwürdigen empirischen
Exaktheit bei, indem sie Fragen stellen und dann
behaupten, es sei die Auffassung einer Mehrheit. Die
Einengung auf bestimmte Fragestellungen führt ebenso
zu einer Verengung des Diskurses, der von sich dann
aber behauptet repräsentativ zu sein. Indem die
Künstlerin die Menschen auf den Booten und Schiffen
filmt, zeigt sie, dass sie dem vorgegebenen
Stromverlauf folgen, innerhalb der vorgegebenen
Fahrttrassen, scheinbar gedankenlos dem Fluss folgend.
Den Fluss Elbe haben wir jenseits seiner beschaulichen
Idylle gesehen, mit seiner ganzen braunen, öligen
gestörten Naturgewalt, raumgreifend und unmenschlich.
Das gesellschaftliche Idyll wurde zerstört.
So wird es auch mit den gesellschaftspolitischen und
soziokulturellen Rahmendiskursen passieren.
Irgendwann, ja, irgendwann.

(Wolf Guenter Thiel)



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