Tilman Baumgärtel on Thu, 12 Dec 2002 00:30:04 +0100 (CET)


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Re: [rohrpost] AW: [rohrpost] Absturzkünstler


At 17:13 11.12.02 +0100, you wrote:


"Doch während in der Szene Ende der neunziger Jahre fast wöchentlich
E-Mails mit den Internet-Adressen neuer, interessanter Projekte
kursierten, haben die künstlerischen Online-Aktivitäten in der letzten
Zeit spürbar nachgelassen. Fast wirkt es so, als würden die
Eigenschaften, die das Internet für Künstler interessant gemacht haben,
nun gegen sie arbeiten: Im täglich unübersichtlicher werdenden Netz sind
die Kunstprojekte in den Datenmassen schlicht untergegangen."

Das kommt auf den Kunstbegriff an. Man könnte ebenso von einer
Ausweitung des Kunstraumes im Netz reden, wenn man seine Aufmerksamkeit
auf Dinge wie filesharing, P2P, Linux, etc lenkt und diese als Kunst
begreift (das tut ja sogar das Kunstestablishment - Linux hat einen Ars
Electronica-Preis bekommen).


Was schon damals, als sie es getan haben, etwas bemüht rüberkam. Und dass 
die Ars das Kunstestablishment ist, wäre ja ganz was neues.


Also vergrößert sich die Kunst im Netz, nur
die Kunstkunst dreht sich (war sie dich schon immer Hofnarr des
'military industrial complex') enttäuscht ab).


Nicht? Dich? Dicht? Ich selbst bin jedenfalls schon seit 1973 als Hofnarr 
im Dienste des militärisch-industriellen Komplexes tätig, das stimmt leider.

Im Ernst: was das alte Thema "net=art" (Heath Bunting, ca. 1996) betrifft, 
finde ich halt immer noch, dass Kunst nicht der reine oder von mir aus auch 
besonders extreme Einsatz von einer Technologie ist, wie P2P etc. Was 
sollte am schlichten Tausch von Daten über eine vorgegebene Infrastruktur 
Kunst sein? Die Strategie, lebensweltliche Phänomene per Gewalt in die 
Kunst einzugemeinden, ist weder neu noch finde ich in diesem Zusammenhang 
übermässig produktiv. Es gibt sicher einige nicht-künstlerische 
Internet-Phänomene, die eine erstaunliche Nähe zu Kunst-wie-wir-sie-kannten 
haben (mein Lieblingsbeispiel ist immer noch die Jennicam), aber die 
Phänomene, die Du nennst gehören eher nicht dazu. Linux ist ja noch nicht 
mal eine Kathedrale!

Es bedarf in der Kunst auch einer gewissen Reflexionsebene und einer 
anderen Haltung als der des reinen Users. Nicht umsonst wird nie jemand auf 
die Idee kommen, ein Buch mit Gesprächen über die Philosophie von 
Kazaa-Nutzern zu machen. Selbst Interviews mit Linus Throvalds sind ja 
meist eine Enttäuschung. Und ob Linux-Programmierer als Künstler gelabelt 
werden möchten ist auch noch stark die Frage. Warum auch?


Ist die Setzung eines 'Absturzes' der Netzkunst nicht ein recht
verlegener Move von jemandem, der zuerst Netzkunst-Bücher veröffentlicht
und den Begriff in Umlauf brachte?

Verlegen oder verwegen? "Verwegen" ist grundsätzlich alles, was ich tue. 
Verlegenheit kommt in diesem Fall nicht so stark auf, weil ich 1. den 
Terminus "Netzkunst" weder erfunden noch alleinverantwortlich in Umlauf 
gebracht habe und 2. es eigentlich relativ ehrlich ist, auch die Krise von 
so einem Phänomen zu konstatieren statt es bis in alle Ewigkeiten weiter zu 
hypen.

Im übrigen glaube ich persönlich, dass diese Krise nur temporär ist. Zum 
Thema Internet ist aus künstlerischer Perspektive noch lange nicht alles 
gesagt, aber es hat in letzter Zeit ein bisschen die Ermutigung dazu 
gefehlt. See you in 2004, dann soll ja auch die Wirtschaftsflaute vorbei 
sein... ;-)

Gruesse,
Tilman Baumgärtel

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