Florian Cramer on Sat, 8 Feb 2003 15:30:07 +0100 (CET) |
[Date Prev] [Date Next] [Thread Prev] [Thread Next] [Date Index] [Thread Index]
Re: [rohrpost] Nachtrag zum bootlab |
Am Freitag, 07. Februar 2003 um 21:28:42 Uhr (+0100) schrieb Stefan Heidenreich: > > Software als "Emanation" der Hardware > > Plotin ist als Philosoph des spätrömischen Imperiums, seiner > Netzwerk-Probleme und der damit verbundenen "Protokoll"-Hierarchie > nicht uninteressant, geschweige denn plump. Dem stimme ich als Plotin-Fan gerne zu, finde Deine Projektion des Neuplatonismus auf Computer-Hardware aber metaphorisch, nicht materialistisch. > Aber "Emanation" bezieht sich hier > einfach auf den Begriff Geist, dessen Austreibung Anfang der 80er eine > ganz heilsame Angelegenheit war. Richtig, aber wenn man Begriffe wie "Emanation" benutzt und sie lediglich auf Hardware umlenkt, operiert man weiterhin im Dispositiv eben jenes Geistes. > (an der sich Derrida übrigens > beteiligte - der erwähnte Sammelband beginnt mit einem Text von ihm.) Allerdings beschreibt er mit der Dekonstruktion ein Denkbewegung, die der alten Metaphysik eben nicht in die dialektische Falle der Substitution durch eine Gegen-Metaphysik zu laufen versucht. > > Ich persönlich finde, daß Software weder Emanation von Hardware, noch > > idealistische Überwindung von Materie ist, sondern daß hier eine > > Scheinopposition sich dialektisch bestätigender Standpunkte aufgemacht > > wird. > welche alternative? so tun als ob beides eins wäre? die differenz > zwischen schaltkreis und befehl in der theoriebildung negieren? Nicht negieren, aber hinterfragen und ausdifferenzieren. Ich finde die o.g. Differenz bei weitem nicht so klar wie sie zu sein scheint. Der schon erwähnte x86-Maschinencode ist ein gutes Beispiel. In modernen Intel- und AMD-Chips ist er nur noch ein Hardware-Interface vor einem RISC-ähnlichen CPU-Kern, d.h. er existiert in Form von Schaltkreisen vorgeschalteten Schaltkreisen. Dies falsifiziert schon einmal jede Annahme, daß nur Software von Hardware abstrahiert. In Transmeta-Chips wird diese Vorschaltung als Software umgesetzt, liegt also in Flash-ROMs und nicht fest in die CPU verdrahtet vor. Umgekehrt gibt es Chip-Architekturen, die nur auf dem Papier und ohne Hardware-Implementation existieren, die berühmteste ist wohl der MIX-Computer von Donald Knuth. Ein wiederum anderes Beispiel ist Java-Bytecode, der ein Assembler-Code für eine virtuelle Maschine ist, die auf der Gastmaschine emuliert wird. Nun ist es nicht schwierig, aus dieser Software-Architektur wiederum eine Hardware zu konstruieren, was Sun mit dem PicoJava-Chip auch tatsächlich getan hat. Ist diese Hardware also eine Abstraktion von der Software, weil sie ja nicht aus der physikalischen Optimierung des Siliziums und der Schaltkreise heraus entwickelt wurde, sondern lediglich zum Zweck, eine bestimmte Software effizienter auszuführen? - Und dies gilt ja nicht nur für Java-Chips, sondern auch für die integrierten Gleitkomma-Koprozessoren aller modernen CPUs, die eben nur dem Zweck dienen, Software bei Gleitkommaberechnungen zu unterstützen. In diesen und vielen anderen Fällen (man denke z.B. auch an MPEG-Decoderchips in DVD-Playern) ist die Hardware - wenn man so will - "Emanation" einer gegebenen Softwareanwendung, wie Du bestimmt nicht bestreiten wirst. Mein recht schlichtes, pragmatisches Argument ist, daß es weder ein a priori der Hardware-, noch der Softwareentwicklung gibt, sondern daß bestimmte Hardwareentwicklungen bestimmte Softwareentwicklungen möglich machen und umgekehrt bestimmte Softwareanwendungen die Entwicklung bestimmter Hardware auslösen. Davon abgesehen, kann Software sehr wohl unabhängig von Hardware existieren. Den praktischen Beweis dafür liefert jede Informatik-Buchhandlung (Lehmanns am Steinplatz in Berlin z.B.), in der Millionen von Codezeilen auf Buchseiten gespeichert sind (aber ebenso gut auch auf anderem Material zirkulieren könnten), Codezeilen, die jedoch nicht dem Zweck dienen, auf Hardware zum Laufen gebracht zu werden, sondern die als theoretische und didaktische Beispiele dienen. Daß so etwas wie theoretische Informatik (und theoretische Mathematik) überhaupt existiert und es Algorithmen schon Jahrtausende vor den Maschinen gab, die sie ausführen konnten, ist mit materialistischen Medientheorien nicht sonderlich gut erklärbar. Um nicht mißverstanden zu werden: Mir liegt es fern, dafür im Gegenzug irgendeinen Weltgeist oder ein autonomes Subjekt heraufzubeschwören. Doch fände es ich pervers, deshalb Wörter wie "Intellekt", "Imagination" und "Subjektivität" diskursideologisch zu tabuisieren. > allerdings scheint mir auch, dass die differenz zwischen soft- und > hardware von begrenztem erklärungswert ist und stellenweise dogmatisch > überhöht wird. D'accord, s.o.! > > ist dieser Medien-Materialismus, so etwa in der "Kittler-Jugend", nicht > > weniger dogmatisch und öde als ein fichtescher, schellingscher oder > > hegelscher Idealismus aus zweiter oder dritter Hand. > wo führt es hin, die materialität auszublenden? ich sehe auch die > probleme, dass ein teil der theorie nicht über die materialität der > medien hinauskommt und deshalb zu vielen drängenden fragen nichts mehr > zu sagen hat. man müsste im sinn einer kritik fragen: bis wohin reicht > die materialität der medien? Absolut einverstanden! Mir geht es ja nicht darum, einem Materialismus wiederum einen Immaterialismus dialektisch entgegenzusetzen, sondern aus diesen dialektischen Gefängnissen und Schein-Fundamentaloppositionen herauszukommen. > wie schreiben die schreibwerkzeuge an den > gedanken, die netzwerke an den inhalten mit? Diesen Nietzsche-Gedanke bis ins Extrem weitergedacht zu haben (und dabei auch Heideggers Technikphilosophie und Foucaults Diskursanalyse einzubeziehen), ist gewiß Kittlers großer Verdienst. Und man kann diese Frage sehr sinnvoll auch auf Kontexte wie diese Mailingliste ausdehnen, in denen die Werkzeuge Texteditor (hier: vim) und GNU Mailman heißen. Nur ist die Beziehung von Werkzeug und Gedanke keine Einbahnstraße; auch die Gedanken schreiben nun einmal an den Werkzeugen, die Inhalte an den Netzwerken mit. Wenn ich in meiner Eigenschaft als rohrpost-Administrator Bugreports und Feature-Wunschlisten an die Entwickler von Mailman schicke, so verhalten sich Werkzeuge und Gedanken in einer kybernetischen Rückkopplungsschleife, nicht anders übrigens als Nietzsches Schreibmaschine, deren Hardware eben auch nicht als Selbstzweck, sondern aus der Anwendung des Schreibens heraus entwickelt wurde. Andere Beispiele: Moderne peer-to-peer-Dienste hätte es nicht ohne das Bedürfnis gegeben, Musik übers Internet zu tauschen. Daß der erste peer-to-peer-Dienst Napster softwaretechnisch auf den Tausch nur von mp3-Dateien eingeschränkt wurde, ist der schlagende Beweis. Ich streite gar nicht ab, daß das Pendel von diesem Punkt an auch in die andere Richtung ausschlägt und die Technik im Gegenzug die sogenannten Inhalte beeinflußt, siehe etwa die Genese des "Bastard Pop" aus der mp3-Tauschkultur. Statt mit überkommenen Form-/Inhalt- oder Technik-/Kultur-Dichotomien zu operieren, würde ich jedoch mp3-Musikkonserven, peer-to-peer-Netze und Bastard Pop jeweils für sich als Artefakte und digitale Schriftformen betrachten, die einander wechselseitig bedingen. So ist die Tatsache, daß das Internet - bei allen Einschränkungen - ein in der Mediengeschichte beispiellos offener Kanal ist, auch darin begründet, daß es ursprünglich als akademisches Netz für den freien Informationsaustausch zwischen Forschern entwickelt wurde und seine Protokolle, anders als etwa Protokolle mit kryptographischer Authentifizierung und "Digital Rights Management", diesen Austausch möglich machen sollten. Die andere Anekdote vom militärischen Interesse und der Atomschlagssicherheit des Internets ist übrigens ein urbaner Mythos - mit diesem Argument besorgten sich damalige Hippie-Informatiker ihre Subventionen vom US-Verteidigungsministerium. Doch selbst wenn sie so, wie sie gerne kolportiert wird, stimmte, würde sie viel über die kulturellen und ideologischen Determinanten von Technik aussagen. Kittlers Medienwissenschaft, die sich dieser kulturalistischen Sichtweise nur dann gerne bedient, wenn der Krieg Vater aller Dinge ist, finde ich auch in dieser Hinsicht theoretisch nicht schlüssig. > ich hatte kürzlich eine auseinandersetzung mit ihm, bei der ich den > standpunkt vertrat, dass in der technischen entwicklung so etwas wie ein > subjekt-unabhängige eigendynamik abläuft. un dhabe mich gegen eine > helden-geschichte von technik-heroen ausgesprochen (turing, shannon, von > neumann etc.), die mir als modus der geschichtsschreibung hinter den > stand, den wir mit der diskursanalyse foucaults erreicht hatten, > zurückfällt. also: kittler verlagert nicht einfach vom menschen auf die > technik ... Je nachdem, welche seiner Textpassagen man zitiert. In "Phänomenologie versus Medienwissenschaft" z.B. heißt es: "Von Zeuxis über Brunelleschi bis Bach blieben Wahrnehmungen, die ein Anderer manipulierte, das Vorrecht von Künsten. [...] Bei technischen Medien dagegen fällt diese Hilfskonstruktion dahin. Den perspektivisch verkürzten Weltausschnitt, wie er auf einer Photographie erscheint, hat kein Künstler aus ästhetischer Freiheit entworfen; es war vielmehr (wie der Photographieerfinder Henry Fox Talbot einst so schön formulierte) ein Bleistift der Natur selber am Werk." P > > Nun ist ein Stück Hardware oder Software mitnichten eine autopoietische > > Schöpfung, auch wenn Kittler dies mit Hinweisen wie dem suggeriert, daß > > Chips heute nur noch mit der Hilfe von Chips konstruiert > > werden können. > da hst du etwas falsch verstanden. das autopoiesis-konzept spielt dabei > wohl keine rolle, wohl aber der zweifel an der laufenden autorschaft von > subjekten. Ich zitiere aus "Hardware, das unbekannte Wesen": "In Extremierung dessen, was seit Gutenberg, aber auch erst seit Gutenberg technische Zeichnung heißt, fällt der Hardwareentwurf mit seiner eigenen Simulation zusammen, weil die anschließende Realisierung der Hardware selber überlassen bleiben kann. Computed Aided Design, mit anderen Worten, ist und bleibt auf nichttriviale Weise selbstreferenziell; im Computer Aided Computer Design erfüllt sich sein Begriff." Ich weiß nicht, wie man diesen Absatz viel anders lesen kann, denn als Suggestion einer Tatsache, daß Computer sich selbst konstruieren. "Autopoiesis" war mein Begriff, "selbstrefenziell" ist der von Kittler, beide liegen (auch in der Systemtheorie) nahe beieinander. > > Im Gegenteil ist jedes Stück Hardware und Software > > eine kulturelle, menschliche Konstruktion, deren Struktur, > > Programmiersprachen und -interfaces etc. mitnichten aus dem Material > > transzendieren und einer inneren Selbstevidenz entspringen, sondern auf > > Konstrukteure und Programmierer zurückgehen. > etwa wie die zahl pi? > (vgl. sokals hoax) Der Vergleich hinkt. Bei Pi und Biologie und Chemie und Physik (auf die sich Sokal bezog und deren Erkenntnissen er satirisch kulturelle Konstruiertheit zuschrieb) handelt es sich um Naturwissenschaft, nicht um Technik. Technik bedeutet schon im Wortsinn der "techne" nichts anderes als Konstruktion, also etwas künstlich geschaffenes. Und genau dies ist die Gefahr einer in Technik-Materialismus gewendeten Metaphysik: Daß sie die Technik nicht mehr als "techne" wahrnimmt, sondern ihr ein Eigenleben zuschreibt und dadurch biologisiert. > > "I would rather suggest we should be thinking about embedding our own > > creative subjectivity into automated systems, rather than naively trying > > to get a robot to have its 'own' creative agenda. A lot of us do this > > day in, day out. We call it programming." ~ > man kann es von der seite beschreiben. das romantisch-selbstbestimmte > subjekt: als arbeitshypothese gilt ihm meine ganze sympathie. aber um zu > verstehen oder zu wissen, was man tut und was uns geschieht, hilft die > blau-augen-perspektive kaum weiter. Ansichtssache. Ich finde es viel blauäugiger und unkritischer, einem Chat-Bot oder z.B. einem Bankautomaten, der mir nicht mehr als 400 Euro ausspuckt, eine eigene Agenda zuzuschreiben (anstatt des Bankmanagements, das entschieden hat, ihn so zu programmieren). > > (Obwohl es mir kein Zufall zu sein > > scheint, daß man komplexe Zusammenhänge und logische Aussagen in > > Schriftsprache mit ihrer Kombinatorik von 128 ASCII-Zeichen noch am > > elegantesten und simpelsten ausdrücken kann.) > dass die praxis an vielen stellen darauf verzichtet: ein unfall? ein > verhängnis der regression? > ich hatte mich vielleicht missverständlich ausgedrückt, aber ich glaube > nicht, dass die "regressiven" GUIs sich durchsetzen, weil sie > "schlechter" sind als als ASCII-interfaces. deine argumentation hat > etwas vom klassischen "locked-in" Effekt: festhalten an der oberfläche, > mit der man sozialisiert wurde. Na, ich wurde erst an BASIC-Computern (1983-88), dann am GUI (1988-96) und erst spät an der Kommandozeile sozialisiert. Und den oben zitierten Satz habe ich ja in Klammern gesetzt, weil er nur meine Privatpräferenz beschreibt, ich ansonsten aber jede Oberfläche für nicht-regressiv halte, die von ihren Nutzern barrierefrei programmiert werden kann. Ob diese Programmierung im Medium von ASCII, Graphik, Ton... geschieht und wie weit dies von der Hardware abstrahiert, ist dabei völlig sekundär. Es geht also gar nicht um GUI oder Anti-GUI, sondern - wie schon in anderen Mails gesagt - nur darum, ganz allgemein nicht-programmierfreundliche Interfaces mit Deinen eigenen Worten als "regressiv" zu kritisieren. Gruß, -F -- http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/homepage/ http://www.complit.fu-berlin.de/institut/lehrpersonal/cramer.html GnuPG/PGP public key ID 3200C7BA, finger cantsin@mail.zedat.fu-berlin.de ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/