Wolfgang Neuhaus on Thu, 28 Aug 2003 04:07:25 +0200 (CEST) |
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[rohrpost] Niedergang von Telepolis |
Nach einem privaten Mail-Wechsel mit Florian Cramer habe ich mich doch entschlossen, etwas auf der Liste zu Telepolis (TP) zu sagen. Ich kenne TP seit 1996 und habe als Autor die Veränderungen aus der Entfernung miterlebt (es ist schade, dass Armin Medosch diese aus seiner internen Sicht nicht kommentieren will). Die erste Veränderung gab es schon 97, als Stefan Münker die Redaktion verließ (heute Redakteur beim ZDF-"nachtstudio" und gelegentlicher Herausgeber bei Suhrkamp) und das ehedem pusslige Design (zB ein "Gehirn"-Symbol für Archiv) umgearbeitet wurde. Schon früh vollzog TP eine journalistische Wende (mehr Glossen, Kommentare, eben "second hand"-Texte) und vernachlässigte in der Folgezeit den theoretisch-essayistischen Teil mit Ausrichtung Netz-, Medien- oder Techno-Kultur (ging wohl einher mit dem nach wenigen Ausgaben gescheiterten Versuch, TP in Papierform beim Bollmann Verlag herauszubringen). Dieser Umschwung brachte natürlich mit sich, ein ganz anderes Textvolumen produzieren zu müssen. Kurz gefasst und sicher historisch "unscharf" bleibend: TP hat da viel "improvisiert", zu Beginn mal mehr Essays, dann weniger, zwischendurch mal mehr Filmkritiken, dann weniger, zu Beginn keine politischen Kommentare, heute viele. TP ist ein Medium mit kleiner Redaktion, das sehr stark von den Außen-Autoren abhängt, ganz einfach davon, was geliefert wird (seitdem die Honorare im Keller sind, fällt auf, dass viele neue unbekannte Namen vermutlich noch junger Autoren dort auftauchen). Die Wendung zur "Polit-Postille" (Florian Cramer) nun läuft auch schon länger, jedenfalls länger als der Start von Bröckers "WTC"-Serie, wie bei Wikipedia steht (obwohl immer auch viel Netz-Politik dabei war). Einen Qualitätsverlust will ich nicht abstreiten. Da verbergen sich aber keine großen Verschwörungen - ich finde Cornelia Sollfranks investigativen medienkritischen Einsatz da viel zu dramatisch -, sondern wahrscheinlich schlicht und ergreifend praktische Erwägungen: kürzere "leichte" Texte sind schneller zu redigieren, selbst zu verfertigen, wenn die Texte der wegbleibenden "Star-Autoren" (frühere Hauptautoren wie Baumgärtel oder Krempl schreiben nur noch gelegentlich) wegen sinkender Honorarmöglichkeiten und anderer Gründe ausfallen. Ich finde, dass trotz "allem", der Verwässerung, der thematischen "Zerstreuung" die Archiv-Leistung von TP bemerkenswert ist. Ab 96 hat TP etwas geleistet, was sich erst Jahre später die FAZ ans Revers geheftet hat, nämlich den US-dominierten Techno(kultur)-Diskurs in der Bundesrepublik (kritisch) vorzustellen. Es war Platz für die legendären specials zu "artificial life" und Moravec-Texte u.v.m.,aber auch für die Netzkritik von Lovink. Bis heute werden verschiedene Textsorten parallel veröffentlicht, die meiner Meinung nach in dieser "Koexistenz" in keinem anderen "offiziellen" Medium denkbar sind. Als eingeführte "Marke" mit relativ hoher Verbreitung und Akzeptanz, wenn man sich die Zugriffsdaten bei Heise online anschaut, bleibt das Magazin eine potenzielle Plattform für den kritischen Diskurs über Netz-Kultur - man sollte TP nutzen, so lange es noch existiert! -W ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/