Andreas Broeckmann on Fri, 5 Sep 2003 13:16:53 +0200 (CEST)


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[rohrpost] Falter interview zu netz, kunst, software ...


(dieses Interview von Matthias Dusini erscheint in Auszuegen und
anlaesslich der ars electronica im oesterreichischen "Falter"
(www.falter.at) Nr. 36/03 vom 03.09.2003 Seite: 55, Ressort: Kultur;
ich dachte, das ist vielleicht von interesse; -ab)



MD: Du nimmst auf der ars electronica an einem Panel teil, wo über
Kunst und Software diskutiert wird. Was kann an einer Software
künstlerisch sein?

Andreas Broeckmann: Software ist ein künstlerisches Medium, so wie
auch Video, Photographie oder das Internet künstlerische Medien sind.
Den Programmcode, mit dem Computer zum Laufen gebracht und mit
bestimmten Funktionen ausgestattet werden, muss man sich wie ein
digitales Material vorstellen, das bestimmte Materialeigenschaften
hat und das auch, je nach dem, wie es eingesetzt wird, politische und
kulturelle Bedeutung eingeschrieben bekommt. Wenn beispielsweise eine
italienische Künstlergruppe zur Biennale in Venedig 2001 einen
Computervirus entwickelt, der sich zugleich mit dem System Kunst und
mit der gesellschaftlichen Bedeutung von Software befasst, dann ist
das Kunst mit und durch Software. Bei der transmediale haben wir seit
einigen Jahren einen Wettbewerb für Software-Kunst und Diskussionen
über Software-Kultur, deshalb ist es gut, dass sich auch die ars in
diesem Jahr dem Thema gezielt zuwendet.

MD: mit am tisch wird auch olga guriunova sitzen , die den tod der
netzkunst verkündet hat (vgl. springerin Bd. VII/ Hf. 3/2001). sie
meint, der außerinstitutionelle impetus der netzkunst sei verloren
gegangen, netzkunst werde nur mehr für kunstinstitutionen gemacht.
was ist deine meinung dazu?

AB: Ich bin Kunsthistoriker und deshalb angesichts solcher
Erklärungen des Todes irgendwelcher Genres einigermaßen gelassen -
Malerei, Photographie, Film und Video sind allesamt vielfach für tot
befunden worden, und doch wird weiter gemalt, geknipst und gefilmt,
was das Zeug hält. Richtig ist, dass Netzkunst wahrscheinlich
schneller als andere Genres ihren Avantgarde-Charakter verloren hat
und innerhalb weniger Jahre 'normalisiert' worden ist. Allerdings
bleibt die formale, institutionelle Unterstützung von Netzkunst sehr
zurückhaltend, und ich sehe immer noch viel mehr Arbeiten, die
außerhalb von Institutionen entstehen. Das Internet ist eine
technische Umgebung mit spezifischen kulturellen Bedeutungsebenen,
die sich wandeln und die in der Netzkunst wohl auch in Zukunft
reflektiert werden. - Kurz, ich bin wohl in diesem Punkt im Dissens
mit Olga.
Es gibt momentan die Befürchtung, dass die Software-Kunst dasselbe
Schicksal ereilen könnte, nämlich innerhalb eines relativ kurzen
Zyklus von Einführung, Hype und Enttäuschung verbrannt zu werden.
Aber da Software als Thema wohl sehr viel spröder ist als die bunten
Oberflächen des WWW, wird es so weit vielleicht gar nicht kommen.
Wichtig ist dabei viel eher, dass Software sehr tief in die Struktur
der Informationsgesellschaft eingreift, und dass es deshalb eine
kulturelle und politische Kritik vorhandener Software-Systeme - von
E-Banking über E-Government bis zum Tele-Working - geben muss.

MD: tatsächlich spielte netzkunst auf den vergangenen beiden
kunstgroßveranstaltungen in kassel und venedig eine marginale rolle. warum
konnte sich das arbeiten mit netz neben anderen neuen medien wie video oder
fotografie nie wirklich etablieren?

AB: Die Photographie gibt es seit 1839 und sie hat über 60 Jahre
benötigt, bis sie als Kunst anerkannt wurde. Mit Video konnte man,
nach der Aussage vieler Kuratoren, überhaupt keine Kunst machen, und
erst seit einigen Jahren setzt sich die Einsicht durch, dass der
Kunstbetrieb da in den 1970er doch einiges Interessante übersehen
hat. Wenn also kaum 10 Jahre nachdem das Internet allgemein
zugänglich geworden ist in Ausstellungen, die sich stark am
Kunstmarkt orientieren, noch keine Netzkunst gezeigt wird, dann kann
das nicht besonders verwundern - da mahlen die Mühlen einfach
langsam, schliesslich müssen erst Wertschöpfungsketten aufgebaut,
Stile geprägt, Sammler angefixt werden. Wir sprechen uns im Jahr 2020
wieder!

MD: du warst als kurator für v2 tätig, das mitte der 90er jahre für einen
medienutopischen ansatz, etwa hinsichtlich einer aufwertung der
kunstproduktion in den postsozialistischen länder stand. stichwort:
TAZ. diese sozial orientierten ansätze der netzkommunaktion scheinen
kaum mehr
vorhanden zu sein. warum?

AB: Unsere Arbeit bei V2 in Rotterdam speiste sich damals weniger aus
dem Glauben an das utopische Potential der Medien, sondern eher aus
der Neugier darüber, wie alternative technologische Kulturen sich
herausbilden. Da gab es natürlich durchaus 'temporäre Oasen', aber
viel wichtiger war die Wiederentdeckung 'kleiner' oder minoritärer
Medienpraktiken, die sich jenseits der Massenmedien taktischer
Methoden bedienten, Technologien umfunktionierten und den
spekulativen Aufbau neuer Strukturen versuchten. Ich denke an den
exemplarischen Charakter des E-Lab in Riga, von Marko Peljhans PACT
Systems in Ljubljana, oder auch die Pionierarbeit der
Online-Abteilung von Radio B92 in Belgrad.
Dabei finde ich nicht, dass die sozialen Utopien aus den Projekten
der unabhängigen Netzkultur verschwunden wäre. Mit der Entwicklung
freier, sozialer Software-Projekte ist das Engagement zum Teil
wesentlich realistischer geworden, Peer-to-Peer-Netzwerke, Weblogs
und die Open-Source-Szene haben ein immenses gesellschaftliches
Potential, und schließlich wird auch die Auseinandersetzung um
Urheberrechte, über Netzsicherheit und die Verfügbarkeit der
Infrastruktur heute vonseiten der 'freien Szene' weitaus kompetenter
geführt als noch vor fünf oder acht Jahren - man schaue sich nur mal
die Beratungsgremien der europäischen Regierungen an, in denen
regelmäßig auch 'Hacker' vertreten sind.
Ich finde im Gegenteil, dass gerade in den letzten paar Jahren
soziales Engagement wieder zunehmend eine Rolle spielt - nicht
zuletzt auch durch die Krise der Globalisierung. Von der ars aus
fahre ich gleich weiter nach Amsterdam, wo sich bei der Konferenz
Next 5 Minutes mehrere hundert Kunst- und Medienaktivisten alle drei
Jahre über taktische Medien austauschen. Und danach geht es zurück
nach Berlin, wo wir seit 2001 Festivals zu Themen wie 'do it
yourself!', 'go public!' und 'play global!' gemacht haben und nun für
den Februar die transmediale.04: 'fly utopia!' vorbereiten.

MD: auf der anderen seite ist das künstlerische arbeiten auf der basis
digitaler medien zum selbstverständlichen handwerk auch von künstlerInnen
geworden, die sich nicht explizit als medienkünstlerInnen verstehen.
ist die digitale codierung zu einer universellen matrix der
kunstproduktion
geworden, wie das die konzipierung der ars electronica darlegt?

AB: Ich denke nicht, dass die Konzeption der ars von einer
'universellen Matrix' spricht. Sie geht vielmehr von der These aus,
dass Computer-Code in alle gesellschaftlichen Bereiche unserer
Gegenwart eingedrungen ist und dort eine wichtige, gestaltende Rolle
spielt, die man reflektieren muss. Die ars konzentriert sich dabei
neben der Kunst auf die Bereiche Recht und Leben.
Die polemische Zuspitzung der Hypothesen für das Symposium der ars
legt natürlich schon nahe, dass da auch Kritik und alternative Kräfte
zur Sprache kommen werden, die gleichfalls auf diese
gesellschaftlichen Entwicklungen einwirken - man denke nur an die
weltweiten Migrationbewegungen oder die Zerstörung unserer Umwelt.
In gleichem Maße wird man auch die Bedeutung des Codes für die
heutige künstlerische Produktion relativieren müssen. Ohne Zweifel
spielen digitale Bild- und Klangbearbeitung eine herausragende Rolle
für die Gegenwartskunst, ebenso wie das Internet als Kommunikations-
und Präsentationsmedium die Zugänglichkeit und Verfügbarkeit
künstlerischer Arbeiten enorm verändert hat. Das sind, wie ich schon
sagte, kulturelle Strukturen, deren Potentiale und vor allem auch
Grenzen oftmals durch die verfügbare Software bestimmt werden. Dies
ist aber selbstverständlich nicht der einzige Faktor; auch die
ökonomische und politische Lage der KünstlerInnen in einer Region,
bestimmte Moden und Konjunkturen im Kunstsystem, sowie politisch
motivierte internationale Förderstrukturen können individuelle
Karrieren ebenso stark beeinflussen.

MD: eine von der ars stark forcierte überkreuzung ist jene zwischen kunst und
wissenschaft. was kann die mit digitalen medien arbeitende kunst deiner
ansicht nach gegenüber den intellektuellen (und auch visuellen)
explosionen des wissenschaftlichen bereichs anbieten?

AB: Kunst und Wissenschaft stehen meiner Ansicht nach in keiner
direkten Konkurrenz, und es wäre Unsinn, wissenschaftliche
Entwicklungen im Bereich der Kunst spiegeln oder gar überbieten zu
wollen. Dass die Kunst eventuell die Definitionsmacht über das
Visuelle verloren hat, ist von den modernen Avantgarden schon vor
hundert Jahren erkannt und reflektiert worden.
Ich denke, dass es einen relativ kleinen Bereich gibt, in dem Kunst
und Wissenschaft tatsächlich einen fruchtbaren Dialog führen können.
Leider steht hinter dem Diskurs über die Zusammenführung von Kunst
und Wissenschaft meist die Vorstellung einer Universalmaschine à la
Leonardo da Vinci, der morgens einen Helikopter für das Militär
entwirft und nachmittags die Mona Lisa malt, oder noch besser
Funktionalität und Ästhetik irgendwie zusammenbringen kann,
beispielsweise in einer Rakete, die den Dokumentarfilm über das von
ihr zu zerstörende Bauwerk gleich mit liefert.
Aber das kann natürlich nicht die Aufgabe der Kunst sein. Was Kunst
kann, ist die selbstverständlichsten Fragen der Wissenschaften immer
wieder ganz anders zu stellen und alternative Logiken an zu bieten,
Drama und Leidenschaft in den wissenschaftlischen Prozeß ein zu
bringen, oder vorhandene Irrationalitäten sichtbar zu machen und aus
zu reizen. Allerdings führt das zwar gelegentlich zu interessanten
Turbulenzen im wissenschaftlichen System, selten aber zu
interessanten Kunstprojekten. Noch trauriger sind nur die Projekte
von KünstlerInnen, die beauftragt werden, 'kreative' Anwendungen für
neue Produkte der Elektronikindustrie zu finden. Das hat mit meinem
Verständnis von Kunst nichts zu tun.
Es ist schwierig, so im Allgemeinen zu sprechen, aber KünstlerInnen
und WissenschaftlerInnen setzen sich jeweils im Rahmen ihrer
Disziplinen mit Phänomenen der Gegenwart auseinander und projezieren,
projektieren in ihren Arbeiten mögliche Lesarten dieser Wirklichkeit,
mögliche Wahrheiten, mögliche Weiterentwicklungen. Die logischen,
ästhetischen, politischen und anderen Regeln, nach denen diese
unterschiedlichen Praktiken aber funktionieren, machen einen direkten
Vergleich unsinnig. Die Kunst wird sich, im günstigeren Fall, ihrer
eigenen Stärken und Passionen bewusst bleiben und sich nicht von
falschen Konkurrenten und falschen Allianzen von ihren Aufgaben
abbringen lassen.

(Wien/Berlin, August 2003)
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